
Bücher aus Mommsens Zeiten
Die Deutsche Post hat soeben eine Sonderbriefmarke herausgegeben, um den Jubilar gebührend zu ehren. Historikern, insbesondere Althistorikern gegenüber, verhalten sich dabei Staat und Gesellschaft im allgemeinen mit derartigen Ehrungen und Auszeichnungen eher sparsam als inflationär. Das mag mit dem Image des – möglicherweise immer noch – im einsamen Studierzimmer befindlichen und fernab von Öffentlichkeit und allgemeinem Bewußtsein agierenden Gelehrten zu tun haben oder, um eine zusätzliche Variante ins Spiel zu bringen, mit dem Umstand, dass die früher vorhandene Deutungshoheit dieser Spezies in unserer Gegenwart auf Massenmedien wie Fernsehen und Internet übergegangen zu sein scheint. Warum überhaupt soviel Aufmerksamkeit gegenüber jemandem, der am 30. November 1817 in dem kleinen schleswig-holsteinischen Flecken Garding zur Welt kam, Besuchern der Nordseeküste allenfalls als Durchgangsstation nach St. Peter-Ording bekannt?
Die Antwort auf diese Frage ist relativ simpel: Weil Theodor Mommsen ganz einfach Bahnbrechendes auf dem Gebiet der Alten Geschichte geleistet hat. Zum besseren Verständnis der dann nachfolgenden Ausführungen möchte ich einige theoretische Erwägungen voranschicken, die wahrscheinlich nicht zum Allgemeingut gehören und somit sinnvoll und nützlich sein dürften.
Geschichte als Forschungsdisziplin und Wissenschaft wird nach wie vor in drei separate Bereiche unterteilt, die auf einem gedachten Zeitstrahl eben unterschiedliche Abschnitte zum Gegenstand haben. Die Rede ist von Alter Geschichte, Mittelalterlicher Geschichte (Mediävistik) und von Neuzeitlicher Geschichte. Einige Neuzeithistoriker sind aktuell in aller Munde, nicht zuletzt wegen so manchem Bestseller, der ihrerseits zu verantworten ist. Im englischen Sprachraum fielen mir auf Anhieb etwa Sir Ian Kershaw, Timothy Garton Ash, Niall Ferguson oder Sir Christopher Clark ein, im deutschen Sprachraum Jürgen Osterhammel, Heinrich August Winkler oder Michael Stürmer. Sie alle haben aber nichts mit Alter Geschichte zut tun. Wo aber fängt Alte Geschichte an, wo hört sie auf? Auf dem wiederum gedachten Zeitstrahl ist die Prähistorie, im hiesigen Universitätsbetrieb auch als Ur- und Frühgeschichte bekannt, ihre Vorläuferin. Sie beschäftigt sich mit Zeiträumen, die früher, gleichzeitig und später in Relation zur Alten Geschichte liegen können, sie alle eint aber das Kriterium der Schriftlosigkeit, ihre Chronologie muss nicht synchron, sie kann ebenso diachron sein. Ergo: Alte Geschichte beschäftigt sich mit Schriftkulturen. An dieser Stelle angekommen, ist die räumliche Dimension ins Feld zu führen. Die Kultur des Alten Ägypten hat ihre eigene Spezialwissenschaft hervorgebracht, die jedem dorhin Reisenden geläufig ist: die Ägyptologie. Ägypten in alter Zeit ist demnach nicht der geographisch-räumliche Bereich, welcher die Alte Geschichte tangieren würde, sofern nicht antike Autoren in ihrem Fokus genau diese Region betrachtet haben. Hier fiele einem Herodot, der pater historiae, ein, laut dessen Expertise Ägypten ja ein Geschenk des Nils gewesen sei. Um nicht unnötig kompliziert zu sein, soll also die notwendige Bemerkung, dass Alte Geschichte sich mit europäischen Schriftkulturen beschäftigt, sie zu ihrem Forschungsgegenstande hat, als hinreichend betont werden. Außereuropäische Kulturen und Völker geraten erst im Falle eines Falles in ihr Blickfeld, sofern sich griechische oder römische Autoren, Inschriften, Münzen oder sonstige Quellen mit ihnen auseinandersetzen. Hier kämen also Aussagen von Griechen oder Römern über Karthager, Gallier, Germanen oder sonstige Völker in Betracht.
Was die Zeiträume anbetrifft, mit denen sich die Alte Geschichte beschäftigt, so liegen die Anfänge bei der Genese der altgriechischen Alphabetschrift, einer unzweifelhaften Adaption und Weiterentwicklung der phönizischen Schrift. Zeitlich steht das neunte vorchristliche Jahrhundert im Blickpunkt. Der erste bedeutende Autor ist Homer mit seinen Epen Ilias und Odyssee gewesen. Das Ende der Antike ist wiederum nicht im Sinne eines naturwissenschaftlichen Axioms bestimmbar, denn unterschiedliche Forschungsmeinungen kamen und kommen zu verschiedenartigen Aussagen. Den einen gilt das Jahr 395 n.Chr., in dem die Zweiteilung des Imperium Romanum in ein West- und Oströmisches Reich stattfand als Epochengrenze, den anderen die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus im Jahr 476 n.Chr., während eine nächste Meinung das siebte nachchristliche Jahrhundert als Übergangszeitraum zum Mittelalter einschätzt, und zwar mit der Begründung, mit der in Nordafrika westwärts greifenden arabischen Expansion habe sich die kuturelle Einheit des Mittelmeerraumes aufgelöst, der lateinische Begriff des mare nostrum hatte sich damit inhaltlich überlebt.
Der Blogger hofft, Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, möge es nach Lektüre der beiden letzten Absätze eher wie Theseus ergehen, der mit Hilfe des Fadens der Ariadne schließlich den Minotaurus bezwingen konnte, als dass Sie orientierungs- und möglicherweise ratlos zurückbleiben. Es sind dies aber (vielleicht leider) die unabdingbaren Voraussetzungen ohne die wir die Komplexität von Mommsens Schaffen und Wirken wohl kaum verstehen können. Ich möchte Sie weiterhin nicht allzu sehr mit biographischen Details aus seinem Leben langweilen, sondern es soll versucht werden, zum Kern der Dinge zu gelangen, was in Mommsens Fall heißt, was eigentlich seine Bedeutung ausmacht. Kein geringerer als der gebürtige Breslauer, im Zuge der NS-Zeit in die USA ausgewanderte Fritz Stern wußte über ihn zu sagen: „Die Eigenschaften, die er für einen Historiker für unentbehrlich hielt – juristische, sprachliche und literarische Kenntnisse sowie rasche Auffassungsgabe und eingeborene Genialität, die in der Verzweigtheit der Geschichte Bedeutung und Zusammenhänge erkennt – besaß er selber in einem Ausmaß, das kein anderer moderner Historiker übertroffen hat.“ (aus: Fritz Stern (Hrsg.): Geschichte und Geschichtsschreibung. Texte von Voltaire bis zur Gegenwart, München 1966, S. 195.) Sollte es mir im weiteren Verlauf exemplarisch gelingen eben diese verschiedenen Bedeutungsebenen sachgerecht zur Darstellung zu bringen, dann hätte ich in Sterns und Mommsens Sinn gehandelt.
Der Obergermanisch-Raetische Limes
Haben sich die Römer nach der Niederlage des Feldherrn Varus 9 n.Chr. in der sogenannten Schlacht im Teutoburger Wald, als drei in offener Feldschlacht nahezu unbesiegbare Legionen in den Wäldern Germaniens aufgerieben und vernichtet wurden, tatsächlich für alle Zeiten auf das linke Rheinufer zurückgezogen? Diese Forschungs- und Lehrmeinung aus alten Tagen ist heute nicht mehr haltbar und damit revisionsbedürftig. Denn man weiß heute, dass weiterhin Expeditionen ins freie Germanien durchgeführt wurden, die aller Wahrscheinlichkeit nach unter anderem die Exploration der Bodenschätze des Harz zum Ziel hatten, die entsprechenden beweiskräftigen Funde und Befunde kann die Archäologie zur Verfügung stellen. Doch damit nicht genug. In den Jahren zwischen 120 n.Chr. und 170 n.Chr., der Zeitraum bezeichnet im wesentlichen die Herschaft der Cäsaren Hadrian, Antoninus Pius und Marc Aurel, wurde in verschiedenen Ausbaustufen der Obergermanisch-Raetische Limes errichtet. Es handelt sich dabei um ein Befestigungswerk, das mit einer Gesamtlänge von 550 Kilometern das bedeutendste Bodendenkmal Europas darstellt und damit mehr als die viereinhalbfache Länge seines nordenglischen Pendants, des Hadrianwalls, aufweist. Die Bedeutung dieser die vier Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern durchmessenden Anlage wurde nicht zuletzt von der UNESCO gewürdigt, indem sie ihr im Jahr 2005 den Status eines Weltkulturerbes zuerkannte. Anfangspunkt ist in Obergermanien, von den Römern mit der Provinzbezeichnung Germania superior belegt, das zwischen Koblenz und Bonn am Rhein gelegene Rheinbrohl, von wo aus sich der Limes über die Höhen von Westerwald und Taunus bis ungefähr 50 Kilometer nördlich von Frankfurt erstreckt und von dort südwärts bis zum Main weiter verläuft. Endpunkt ist schließlich das zwischen Ingolstadt und Regensburg an der Donau gelegene Eining. Stets lassen sich ähnliche, wenn auch nicht identische Baustrukturen beobachten. Einem hölzernen Palisadenzaun folgen Wall und Graben und dahinter befindliche Wachtürme, die so auf Abstand gebaut worden sind, dass Kommunikation zum nächsten Wachturm zum Beispiel über Leuchtzeichen möglich war. Beim südlicher gelegenen raetischen Limesabschnitt waren die wiederum Kommunikation ermöglichenden Wachtürme in der letzten Ausbauphase sehr oft in eine die Grenze markierende Steinmauer integriert.
Welchem Zweck diente der Limes? Wie eigentlich immer in der Geschichte greifen monokausale Erkläungsmuster zu kurz. Die Vorstellung, beim Limes habe es sich um eine Grenzanlage zum Zweck der hermetischen Abriegelung gehandelt, kann jedenfalls nicht zutreffend sein, da immer wieder Durchlässe das Passieren ermöglicht haben. Sehr viel mehr Wahrscheinlichkeit genießt daher die Interpretation, der Limes habe im Rahmen des sogenannten „kleinen Grenzverkehrs“ kanalisiert Handel und somit Wirtschaft ermöglichen wollen. Germanen sind demnach durchaus dazu ermutigt worden mit ihren Handelswaren, wozu der in Rom sehr begehrte Bernstein oder blondes Frauenhaar gehört haben, den Limes zu passieren, während von Seiten wagemutiger römischer Kaufleute aus das freie Germanien beispielsweise mit feinem Tafelgeschirr – der Terra Sigillata – aus Tabernae, dem heutigen Rheinzabern in Rheinland-Pfalz, der seinerzeit wohl bedeutendsten Töpfersiedlung nördlich der Alpen, beliefert wurde. Demnach funktionierten die Durchlässe im Limes als Zoll- und Wirtschaftsgrenze. Und wurde der Limes einmal doch von wilden germanischen Horden überrannt, so gab es ja immer noch die im Hinterland in Kastellen stationierten aus Kavallerie bestehenden „schnellen Eingreiftruppen“.
Bleibt noch die Frage zu klären, wie Theodor Mommsens Beitrag zu diesem Thema zu bemessen ist. Nachdem das Heilige Römische Reich deutscher Nation 1806 aufgehoben wurde, die Napoleonischen Besetzungen beendet waren, der Deutsche Bund im Zuge des Wiener Kongreßes 1815 ins Leben gerufen wurde, der seinerseits ab 1866 durch den Norddeutschen Bund abgelöst wurde, hat Mommsen die Reichsgründung am 18. Januar 1871 als Chance begriffen, die Vereinzelung und Partikularisierung wissenschaftlicher Arbeit am römischen Erbe in deutschen Landen zu überwinden. War bisher die Limesforschung von einzelnen, mitunter auch sehr begabten Gelehrten betrieben worden, sah Mommsen ab 1871 den Impetus zu zentralem Zugriff gegeben. Nach vielen organisatorischen Kämpfen fand endlich am 6. und 7. Juni 1892 in Heidelberg die konstituierende Sitzung der Reichs-Limeskommission (RLK) statt. Wer sonst als Theoder Mommsen sollte zu ihrem Vorsitzenden gewählt werden? Jetzt erst konnten aus der Vogelperspektive die 550 Kilometer in den Blick genommen werden. Und sie wurden es! Alle anfallenden Arbeiten und Aufgaben konnten erst jetzt integrativ vorgenommen werden. Dazu zählen etwa: Bestimmung des genauen Streckenverlaufs, Lokalisierung der Kastelle, Vermessung, Kartierung, Durchführung von wissenschaftlichen archäologischen Ausgrabungen, Photographie, Initiierung von renovatorischer Aufbereitung, wie sie etwa an der Saalburg in Hessen sichtbar wird. Letzten Endes wäre alles von beschränktem Wert gewesen, wenn nicht für eine angemessene Publikation der Ergebnisse gesorgt worden wäre. Unter dem Titel „Der Obergermanisch-Raetische Limes des Roemerreichs“ wurde in insgesamt 56 Lieferungen von 1894 bis 1937 der Publikationsverpflichtung mustergültig Folge geleistet, die deutsche Altertumswissenschaft hat damit Beiträge der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt, wie wir sie anderenorts in dieser Form nicht so leichthin finden können. Nicht verschwiegen sei, dass Mommsen auf überragende Geister wie den Münchener Archäologen Heinrich von Brunn und den Freiburger Althistoriker Ernst Fabricius als wirkmächtige Mitstreiter an seiner Seite setzen konnte.
Ein politisches Wesen
Während die Leitungsfunktion in der RLK Mommsens späte Jahre des Berufslebens charakterisiert, so standen die vorhergehenden Jahrzehnte unter dem Eindruck, akademischer Lehrer zu sein. Nach den Professuren in Leipzig, Zürich und Breslau berief man ihn 1858 an die Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin, 1861 folgte die ordentliche Professur für römische Geschichte an der Berliner Universität, deren Rektor er überdies 1874 werden sollte.
Wiederholt hat er dem Preußischen Landtag als Abgeordneter angehört, und zwar von 1863 bis 1866 als Vertreter der Fortschrittspartei sowie von 1873 bis 1879 als Nationalliberaler. Abgeordneter des Reichstags sollte er schließlich von 1881 bis 1884 auch noch werden. Seine politische Grundausrichtung war die eines Liberalen des 19. Jahrhunderts. Die von Reichskanzler Bismarck geplante staatliche Kranken-, Alters- und Invalidenversorgung wurde von seiner Fortschrittspartei als Sozialismus von oben gebrandmarkt. Bismarcks Schutzzollpolitik war Mommsens Sache eben so wenig. Er nannte sie „nichtswürdig“ und eine „Politik der gemeinsten Interessen“. Die persönliche Fehde der beiden Politiker spitzte sich noch weiter zu, bis Mommsen am 10. Februar 1882 vom Reichskanzler wegen öffentlicher Beleidigung angezeigt wurde. Bis zum Reichsgericht Leipzig wurde der Fall verhandelt, der große Gelehrte sah sich im Zuge des Verfahrens sogar mit Gefängnisstrafe bedroht und war sicher froh als am Ende ein Freispruch für ihn herauskam. Der hochberühmte Mann, der es ablehnte mit den Titeln Geheimrat und Exzellenz geehrt zu werden, für mich ein Ausweis von Bescheidenheit, stand dem deutschen Kaiserreich durchaus kritisch und distanziert gegenüber. Er, dem entschlüsselnde Einblicke in die ferne Vergangenheit der römischen Republik wie kaum einem zweiten zum inneren Erfahrungsschatz gehörten, ließ sich vom Blendwerk seiner Gegenwart nicht betören und sah wohl auch so manche Fehlentwicklung. Sein politisches Vermächtnis hat er 1899 seinem Testament beigefügt. Überaus interessant ist die Tatsache, dass es erst 1948, 45 Jahre nach seinem Tod publiziert wurde: „Politische Stellung und politischen Einfluß habe ich nie gehabt und nie erstrebt, aber in meinem innersten Wesen, und ich meine, mit dem Besten was in mir ist, bin ich stets ein animal politicum gewesen und wünschte ein Bürger zu sein. Das ist nicht möglich in unserer Nation, bei der der einzelne, auch der Beste, über den Dienst im Gliede und den politischen Fetischismus nicht hinauskommt. Diese innere Entzweiung mit dem Volke, dem ich angehöre, hat mich durchaus bestimmt, mit meiner Persönlichkeit, soweit mir dies irgend möglich war, nicht vor das deutsche Publikum zu treten, vor dem mir die Achtung fehlt.“ Harte Worte, dabei kann an seinem lebenslangen Eintreten für den deutschen Staat im Sinne der kleindeutschen Lösung kein Zweifel bestehen.
Der Autor der „Römischen Geschichte“
Als Theodor Mommsen als erster Autor deutschsprachiger Provenienz überhaupt 1902 den Nobelpreis für Literatur verliehen bekam, so gedachte das dafür zuständige Komitee in seiner Begründung des gegenwärtig größten lebenden Meisters der historischen Darstellungskunst mit besonderer Berücksichtigung seines monumentalen Werkes „Römische Geschichte“. Stilsicherheit, sprachliche Eleganz, Lebendigkeit des Ausdrucks sind Attribute, die man hinzufügen sollte, ohne doch vollständig die den 1854, 1855, 1856 und 1885 in der Weidmannschen Buchhandlung, Berlin, erschienenen vier Bänden in ihrer legendären Zählung I, II, III, V, gerecht werden zu können. Wer sich allerdings nicht mit den Ausführungen von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf (ders., Theodor Mommsen – Warum hat er den vierten Band der Römischen Geschichte nicht geschrieben?, in: Internationale Monatsschrift 12, 1918) beschäftigen möchte, der sei darauf verwiesen, dass dem Gelehrten zwischenzeitlich die Leitung des Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) übertragen worden war, mithin die Edition aller bekannten lateinischen Inschriften.
Deshalb ist die dem vierten Band vorbehaltene Geschichte der römischen Kaiserzeit von Mommsen eben nicht geschrieben worden. Auch heute noch kommt jedoch niemand umhin, die in den ersten drei Bänden der Frühen, Mittleren und Späten Römischen Republik gewidmeten Kapitel und Aussagen als Referenzpunkt für aktuelle Forschungen zu sehen. Um einen kleinen Eindruck zu vermitteln, wie unser Protagonist über die Späte Republik dachte, folgende Passage zur Illustration. „In der religiös-philosophischen Entwicklung tritt in dieser Epoche kein neues Moment hervor. Die römisch-hellenische Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren für jede Regierung, Oligarchie, Demokratie oder Monarchie, nicht bloß ein bequemes Instrument, sondern deshalb geradezu unentbehrlich, weil es ebenso unmöglich war, den Staat ganz ohne religiöse Elemente zu konstruieren als irgendeine neue zur Ersetzung der alten geeignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revolutionäre Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinnweben der auguralen Vogelweisheit hinein (…); aber die morsche, in allen Fugen krachende Maschine überdauerte dennoch das Erdbeben, das die Republik selber verschlang, und rettete ihe Geistlosigkeit und ihre Hoffart ungeschmälert hinüber in die neue Monarchie.“ (vgl. Band III, S. 571).
Die „augurale Vogelweisheit“ ist schlichtweg nichts anderes als die Vornahme von Zukunftsdeutung durch ein dafür besonders qualifiziertes Kollegium: die Auguren. Sie stehen für altes etruskisches Erbe. Damit sei auch auf Fortschritte in der Altertumswissenschaft verwiesen. Während sich Mommsen die städtische Genese von Rom als weitestgehend von einheimischen Stämmen begründet, also quasi hausgemacht vorstellte, so wissen wir heute vor allem auch durch die Forschungen von Einar Gjerstad (E. Gjerstad, Early Rome, 6 Bde. Lund 1953-1973), dass die eigentliche Stadtgründung wohl um 575 v.Chr. durch einen etruskischen König erfolgte. Die städtische Entwicklung selbst folgte dann dem evolutionären Schema einer gewachsenen und nicht dem einer geplanten Stadt wie es im 5. Jahrhundert v.Chr. von Hippodamos am Beispiel von Milet exemplifiziert werden sollte.
Neben der „Römischen Geschichte“ wurden von Theodor Mommsen mit dem „Römischen Staatsrecht“ und dem „Römischen Strafrecht“ mindestens zwei weitere epochale Werke vorgelegt.
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