Was sich vor gut 150 Jahren hoch im Norden abgespielt hat, ist hierzulande kaum mehr im allgemeinen Bewusstsein verankert. Wohl zu viele militärische Konflikte, in die man involviert war, kamen danach, als dass die spannungsgeladenen Ereignisse des Jahres 1864 einen bedeutenderen Platz in der kollektiven Erinnerungskultur einnehmen würden. Noch am ehesten wird im Deutsch-Dänischen Krieg die Ouvertüre in der Reihe der drei Einigungskriege, die schließlich 1871 in die Reichsgründung eingemündet haben, gesehen. Wie selbstverständlich nehmen in diesem Kontext die Schlachten von Königgrätz und Sedan einen gewichtigeren Rang als diejenige an und auf den Düppeler Schanzen ein.
Das ist in Dänemark ganz anders. Neben zahlreichen Gedenkfeiern, die im Beisein von Königin Margarethe II. im festlichen Rahmen eingeläutet wurden, hat sich die teuerste Fernsehproduktion des skandinavischen Landes überhaupt mit einem Kostenvolumen von über 170 Millionen dänischen Kronen 2014 diesem Thema zugewendet. Mit dem internationalen Star Lars Mikkelsen an der Spitze der Darstellerriege trägt die achtteilige Serie dann auch folgerichtig den Titel: 1864. Viel Pathos und beeindruckende Bilder lassen an Dramatik nicht zu wünschen übrig, allein die historische Wahrheit bleibt mehr als einmal auf der Strecke.
Die Schleswig-Holstein-Frage
Worum es eigentlich ging, was also die Ursache der Auseinandersetzungen war, ist nicht so ganz einfach zu beantworten. Dem eher prodänisch orientierten, 1865 verstorbenen britischen Premierminister Lord Palmerston wird die bemerkenswerte Aussage zugeschrieben: „Only three people have ever really understood the Schleswig-Holstein business – the Prince Consort, who is dead – a German professor, who has gone mad – and I, who have forgotten all about it.“ Wer sich diesem Fatalismus nicht anschließen möchte, ist dazu angehalten, sich mit der politischen Lage in der Mitte des 19. Jahrhunderts auseinanderzusetzen, sogar bis ins Mittelalter zurückzugehen.
Da begegnet die bis ins Jahr 1326 zurückreichende Bestimmung der Constitutio Waldemariana, wonach Dänemark und das Herzogtum Schleswig nicht vereinigt werden dürften. Über das Verhältnis der Ritterschaft von Schleswig und Holstein zueinander notiert der Vertrag von Ripen – juristisch nach Auffassung vieler Fachleute eine nur für die Regierungszeit eines Herrschers gültige sogenannte Handfeste – 1460: „dat se bliven ewich tosamende ungedelt„, dass sie also ewig ungeteilt zusammenbleiben. Was ursprünglich eigentlich auf das Verhältnis der Stände zueinander gemünzt war, hat dann im Rahmen der auf die Schriften von Fichte und Ernst Moritz Arndt zurückgehenden nationalen Bewegung im noch immer nicht geeinten Deutschland, dass staatsrechtlich seit 1815 als Deutscher Bund figurierte, eine neuartige Brisanz entfaltet. Der Historiker Friedrich Christoph Dahlmann hat seinerzeit eine folgenreiche, weil verfälschende Uminterpretation vorgenommen, wonach die ewige Ungeteiltheit sich auf die Territorien der Herzogtümer Schleswig und Holstein beziehen würde.
Dahlmann war nun kein namenloser Stubengelehrter, sondern genoss als einer der Göttinger Sieben und als Abgeordneter der im Mai 1848 als Folge der Märzrevolution desselben Jahres eröffneten auch als Paulskirchenparlament bekannt gewordenen Frankfurter Nationalversammlung ein nicht unerhebliches Prestige. Wer hier vor Ort zu seinem Forum zählte, hat Golo Mann in seiner Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts anschaulich beschrieben: „Würdig muß man die Versammlung nennen, die im kahlen Rundtempel der Frankfurter Paulskirche ihre Beratungen aufnimmt. Nie gab es auf Erden ein gebildeteres Parlament. Über hundert Professoren, über zweihundert gelehrte Juristen, dann Schriftsteller, Geistliche, Ärzte, Bürgermeister, hohe Verwaltungsbeamte, Fabrikanten, Bankiers, Gutsbesitzer, sogar ein paar Handwerksmeister und Kleinpächter – kein Arbeiter. Greise aus der Napoleonzeit und junge Leute, die noch das zwanzigste Jahrhundert sehen werden; Honoratioren aus der Kleinstadt und weithin geliebte und berühmte Dichter, Rhetoren, Geschichtskenner, Politiker. Viel Idealismus ist hier versammelt und darf laut werden, der in Metternichs Deutschland leise sein mußte; viel Optimismus.“ Allein, weder eine Verfassung noch die nationale Einheit konnten verwirklicht werden. Was als Reichsverfassung für ein politisches System im Sinne der konstitutionellen Monarchie erdacht worden war, scheiterte spätestens an der Weigerung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. die ihm angetragene Kaiserkrone aus der Hand von Kaufleuten entgegen zu nehmen. Mit seinem Herrschaftsverständnis von Gottes Gnaden war eine derartige Konzeption unvereinbar.
Die relative Machtlosigkeit sowohl der Nationalversammlung, die ihr Ende bereits ein Jahr später im Mai 1849 gefunden hat, als auch der ihr zeitlich seit dem Wiener Kongreß vorausgehenden und bis 1866 nachfolgenden Bundesversammlung, dem im Frankfurt tagenden ständigen Gesandtenkongress der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, wird überdeutlich, wenn man sich die Signatarstaaten des Londoner Protokolls, eines völkerrechtlichen Vertrages, vom 8. Mai 1852 anschaut. Vertreter Großbritanniens, Frankreichs, Russlands, Preußens, Österreichs, Schwedens und Dänemarks waren zugegen. Deutscher Bund dagegen: Fehlanzeige! Inhaltlich ist es in London um die Schleswig-Holsteinische Erhebung vom März 1848 gegangen, die sich zum Ersten bis 1851 andauernden Schleswig-Holsteinischen Krieg ausgeweitet hat. An der Integrität des Dänischen Gesamtstaates als europäischer Notwendigkeit und ständigem Prinzip wurde in London festgehalten. Die drei Elbherzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg sollten auch weiterhin vom dänischen König in Personalunion regiert werden. Während Holstein und Lauenburg zudem Mitglieder des Deutschen Bundes waren, hatte das nördlich des Grenzflusses Eider etwa auf geographischer Breite Kiels beginnende Herzogtum Schleswig den Status eines Lehens. In moderne Rechtsbegriffe übertragen, heißt das soviel wie: Es war auf keinen Fall Eigentum Dänemarks, sondern allenfalls temporärer Besitz.
Etwaiges Rütteln an den bestehenden Zuständen in der Zukunft konnte klar erkennbar Konflikte mit schwer bestimmbaren Konsequenzen heraufbeschwören. Jedenfalls sofern sich das zunehmend fragilere Gleichgewicht der großen Mächte ändern würde.
Wenige Jahre später
Preußen, die jüngste und damit am wenigsten arrivierte der europäischen Großmächte, zu Beginn der 1850er Jahre nicht unerheblich geschwächt, nahm am Ende des Jahrzehnts eine gestärkte Position ein, obschon der innerdeutsche Dualismus mit Österreich unvermindert mit unklarem Ausgang fortdauerte. Es war der von 1853 bis 1856 vor allem an der nördlichen Schwarzmeerküste ausgefochtene Krimkrieg, der Österreich im Bündnis mit den Westmächten England und Frankreich sah, die seit Jahrzehnten bewährte Heilige Allianz mit dem unbeteiligten Preußen und dem Hauptgegner Russland somit mit Füßen tretend. Im Frieden von Paris musste Russland den Verlust des Donaudeltas und die Neutralisierung des Schwarzen Meeres akzeptieren. Die kontinentale Hegemonie des Zarenreiches war mehr als nur angekratzt, weshalb von dieser Seite zukünftig ein gewisses Wohlwollen, vielleicht sogar Dankbarkeit, gegenüber Preußen aufgrund der in der Alvenslebenschen Konvention vereinbarten Zusammenarbeit bei der gemeinsamen Niederkämpfung der polnischen Aufstandsbewegung vorhanden war. 1859 war Österreich wiederum europäisch engagiert, als im Verlauf des italienischen Einigungskrieges der Verlust der reichen Lombardei hingenommen werden musste. Preußen ist in diesem Fall zwar nicht vollständig neutral geblieben, konnte sich militärisch aber heraushalten, während Österreich geschwächt dastand, was für die zukünftige Position der Habsburger innerhalb des Deutschen Bundes wenig Gutes verhieß. Der Handlungsspielraum war in den frühen 1860er Jahren für Berlin eher größer, der für Wien eher kleiner geworden.
Vor diesem allgemeinen europäischen Hintergrund trat 1863 in Dänemark auf Druck der dänischen Nationalbewegung eine neue „eiderdänische“ Verfassung, die Novemberverfassung, in Kraft, nach der Schleswig mit seiner mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung zum festen Bestandteil des dänischen Königreiches erklärt wurde. Ein klarer Verstoß gegen das weiter oben angeführte Londoner Protokoll aus dem Jahr 1852, dessen Bestimmungen vom gerade erst im September 1862 zum Ministerpräsidenten von Preußen ernannten Otto von Bismarck peinlich genau beachtet wurden. Am Silvesterabend 1863 hat Bismarck erklärt: „Die Up ewig-ungedeelten müssen einmal Preussen werde. Das ist das Ziel, nach dem ich steure (…)“ Ein erfolgloses Ultimatum an die dänische Regierung, die neue Verfassung aufzuheben, verstrich, so dass alliierte preußisch-österreichische Truppen am 21. Januar 1864 in Holstein einmarschierten.
Ein neuartiges Element war in diesem Zusammenhang der Truppentransport per Eisenbahn. Zwar wurden schon einige Jahre zuvor badische und pfälzische Revolutionäre durch auf diesem Weg herangeführtes Militär aus Preußen bekämpft und besiegt, doch erst 1864 ist im preußischen Generalstab eine eigene Eisenbahnsektion eingerichtet worden. Chef des Generalstabs war seit 1857 der legendäre Planer Helmuth von Moltke, der die neue Art von Mobilität innovativ in seine strategischen Überlegungen einzubinden verstand.
Wie die Operationen zu Land begannen, ist Gegenstand einer Arbeit des Historikers Olaf Haselhorst. Einen Eindruck davon möchte ich auch hier vermitteln: „Früh am Morgen des 31. Januars fanden sich zwei preußische Offiziere im dänischen Hauptquartier am Dannewerk ein und baten um eine Unterredung mit dem Oberkommandierenden. Generalleutnant de Meza empfing sie im Schlafrock mit Muff und Pelzmütze, so war der sich vor kalter Luft Fürchtende gewöhnlich angezogen. Die beiden Offiziere überreichten ihm ein Dokument mit der Aufforderung, das Herzogtum Schleswig sofort zu räumen. Entsprechend seiner Instruktionen lehnte de Meza ab. Jeder Gewalthandlung würde mit Waffen begegnet werden. Am 1. Februar hatte um 7 Uhr der Eiderübergang der Preußen unter dem Hurra der Truppen begonnen, schon um 11 Uhr hielten die Spitzen in der Nähe der Eckernförder Bucht. Die feindlichen Kriegsschiffe „Thor“ und „Esbern Snare“ wurden durch das Feuer am Strand aufgefahrener preußischer Batterien vertrieben, in Erinnerung an jenen 5. April 1849, wo an eben dieser Stelle, unter den Schüssen einer einzigen Strandbatterie das dänische Linienschiff „Christian VIII.“ in die Luft geflogen war und die Fregatte „Gefion“ die Flagge gestrichen hatte.“ (s. J. Ganschow, O. Haselhorst, M. Ohnezeit, Der Deutsch-Dänische Krieg 1864, Graz 2013, S. 97f.)
Die militär- und ausrüstungstechnisch unterlegenen dänischen Soldaten konnten am Ende des Tages nichts Entscheidendes ausrichten. Ausgerüstet mit antiquierten Vorderladern, die zuviel Zeit zum Nachladen in Anspruch nahmen, waren speziell ihre mit modernen Hinterladern versehenen preußischen Gegner zu sehr im Vorteil. Der Einsatz von Kanonen und Geschützen von Krupp verwies bereits 1864 auf die Zeit der erbarmungslos nach industriellen Maßstäben geführten Kriege der Zukunft, die seinerzeit noch ein halbes Jahrhundert entfernt waren.
Es kam, wie es wohl unweigerlich kommen musste. Am 30. Oktober 1864 einigte man sich im Frieden von Wien auf die Abtretung der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an Preußen und Österreich. Im Gegenzug wurde Jütland, Kern des dänischen Festlands, von feindlichen Truppen kurz danach geräumt. Der Habsburger Monarchie unter Kaiser Franz Joseph indes sollte das Engagement so weit entfernt von der Donau kein Glück bringen. Es barg die Saat von Zwist und Zwietracht in sich, die sich bald im deutschen Bruderkrieg entladen hat.
Bildnachweis©derblogger