Peter Scholl-Latour: Journalist, Auslandskorrespondent, Meister seiner Zunft

Als vor über drei Jahren die traurige Nachricht durch die Medien ging, dass Peter Scholl-Latour im Alter von neunzig Jahren am 16. August 2014 im Rheinland verstorben ist, da ging etwas zu Ende, was nicht leicht in Worte zu fassen ist. Ich will es dennoch versuchen. Hervorragende Auslandskorrespondenten hat es im deutschen Fernsehen ja durchaus einige gegeben, und wenn an dieser Stelle nur auf Gerd Ruge, Ulrich Kienzle  und den nicht unumstrittenen gebürtigen Stuttgarter Gerhard Konzelmann verwiesen wird, mögen die nicht genannten Journalisten bitte nicht gekränkt sein. Scholl-Latour allerdings, der war mehr als ein hervorragender Auslandskorrespondent. Ohne zu zögern würde ich ihn als Welterklärer einer immer orientierungsloseren Welt adeln. Seine Expertise in Sachen Naher, Mittlerer und Ferner Osten, ja der arabischen Welt überhaupt, war legendär, und wenn ihm Kritiker mit den Vorwürfen des Antiamerikanismus, zu großer Nähe zum Gaullismus oder holzschnittartigen Vereinfachungen in seinen Beiträgen begegnet sind, so möchte man auf das alte Diktum verweisen, dass man sich Neid und Missgunst hart erarbeiten muss, lediglich Mitleid gibt es umsonst. Wer war also Peter Scholl-Latour?

Freimütig bekenne ich, ihm nie persönlich begegnet zu sein, was ich bedauere. Der Bochumer Arztsohn, der die Grundlagen seiner profunden Bildung in Schweizer und deutschen Eliteinternaten erfahren hat, in Deutschland immer den Gefährdungen eines Verrats seines jüdischen Mischlingsstatus auf Grundlage der Nürnberger Rassegesetze ausgesetzt, hat sich denn auch in gewisser Weise folgerichtig, nach seiner Haft in einem österreichischem SD-Gefängnis, freiwillig den französischen Paras, den Fallschirmjägern, angeschlossen. Gemeinsam mit ihnen betrat er nach Ende des 2. Weltkriegs den Boden Indochinas, im heutigen Sprachgebrauch Vietnams. Diesem Landstrich galt seine große emotionale Nähe, Liebe.

Scholl-Latour hat die Götterdämmerung des französischen Kolonialismus vor Ort erlebt, er war Zeuge der erheblichen Niederlage von Dien Bien Phu 1954, als französische Fallschirmjäger und Fremdenlegionäre – hauptsächlich gespeist aus ehemaligen Angehörigen der deutschen Waffen-SS –  aufgrund einer absurden Strategie, die den asiatischen Menschen als unterlegen dachte, auf einer gottgewollten Siegesstraße gesehen wurden. Nun, die französische Militärführung sah es als ausgeschlossen an, dass kleine asiatische Menschen händisch oder mit dem Fahrrad schwerste Artilleriegeschütze auf die Dien Bien Phu umgebenen Hügelketten hochschleppen könnten. Sie konnten es! Die Franzosen hatten kaum das Land verlassen, als US-amerikanische Militärberater versuchten, den südvietnamesischen Verbündeten gegen die Kommunisten im Norden zu helfen. Aus den Beratern wurde schließlich eine ganze Streitmacht, die unter anderem durch das Legen von Bombenteppichen aus der Luft und aus der sicheren Entfernung einer B-52, meinte, den Gegner besiegen zu können. Wiederum vor Ort war natürlich Peter Scholl-Latour, der sehr frühzeitig, im Grunde als einer der ersten überhaupt, bedeutende Schwierigkeiten auf die US-Armee zukommen sah. Er sollte jetzt nicht nur die Grundlage seines Ruhms, er sollte sich auch nicht getäuscht haben. Die Ereignisse wurden von Scholl-Latour unter anderem in den Bestsellern „Der Tod im Reisfeld“, fast vierzig Jahre nach der Erstausgabe wohl immer noch die wesentliche deutschsprachige Veröffentlichung zum Thema, und „Der Ritt auf dem Drachen“ literarisch verarbeitet. Etwas anderes kommt noch hinzu: Viele Jahre bevor man in deutschen und transatlantischen militärischen Führungsstäben überhaupt in der Lage war „asymmetrisch“ unfallfrei zu buchstabieren, geschweige denn, den gemeinten Wortsinn zu erfassen, war sich der zeitlebens mit zackigem Kurzhaarschnitt versehene Querdenker der neuen strategischen Dimension durchaus bewusst. Den Akteuren des medialen Mainstreams, ebenso wie den Verbündeten aus den Vereinigten Staaten war ein solches Wissen aus erster Hand selbstredend suspekt, also durfte unser Protagonist beim damaligen Intendanten des WDR Klaus von Bismarck zum Rapport „antanzen“. Doch die Beschwerdeführer sollten sich gründlich getäuscht haben, denn mit dem damaligen Chef von Scholl-Latour handelte es sich um einen mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz dekorierten ehemaligen Wehrmachtssoldaten, der den vermeintlich zu Tadelnden mit den knappen Worten entließ: „Machen Sie weiter!“

Der Protagonist wurde Zeuge des Endes europäischer kolonialer Ambitionen in Übersee. Die Franzosen brachten die Einsichtsfähigkeit der Briten, die sie bei der relativ geordneten Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit an den Tag gelegt hatten, in Indochina nicht auf. Dass Briten und Franzosen zusammen beim Suez-Abenteuer 1956 nicht über ihren Schatten springen konnten, darüber wurde in diesem Blog innerhalb des Beitrags „Europa – Kontinent auf Nebelfahrt“ schon ausführlicher berichtet. Die den fossilen Rohstoff Erdöl betreffenden Implikationen werden in diesem Blog noch sehr, sehr intensiv in der Zukunft behandelt werden.

Wenn wir uns vor Augen führen, dass Scholl-Latour mehrfach in veröffentlichten Interviews davon gesprochen hat, „der Mensch ist von Natur aus böse, und er bedarf der Gnade und der Zucht“, so fällt es schwer, den bibeltreuen Frömmler zu erkennen. Andererseits sollte eine solche Aussage nicht über die unendlich tiefe, im traditionellen römischen Katholizismus, der nach wie vor bedeutendsten Glaubenslehre des Abendlandes, persönlichen Verwurzelung in eben dieser europäisch geprägten Glaubenslehre hinwegtäuschen. Ihr hing er immer an, und möglicherweise war es der überragende, an der Pariser Sorbonne geschulte Intellekt, der neben den sprachlich-linguistisch formulierten Ambitionen an der Universität von Beirut in den späteren 1950er Jahren sich mehr Aufschluss zu verschaffen erhoffte. Er ging zurück zu den Wurzeln allgemein menschlicher Gelehrsamkeit, wenn wir denn geneigt sind, uns zu vergegenwärtigen, dass es die aus dem heutigen Libanon stammenden Phönizier waren, die entscheidend das erste europäische Alphabet beeinflusst haben: das Altgriechische, die Sprache Homers und Hesiods (ex oriente lux.) Hier an der händlerisch-merkantilen Schnittstelle zwischen Morgen- und Abendland – Beirut galt zu jener Zeit als Paris des Ostens – war es dem gebürtigen Bochumer möglich, einen geistigen Kosmos zu erschließen, der seines gleichen kaum fand. Lernziel war dann doch schließlich das Hocharabische, was er mindestens partiell bis ins hohe Alter beherrschte.

 

War demzufolge der Inhaber vierer Wohnsitze in Deutschland und Frankreich Europa gegenüber indifferent? Mitnichten! Als fundamentalen Fehler der EU hat er immer wieder die Integrationsversuche der Ukraine bezeichnet. Er wusste ganz genau: dreihundert Kilometer östlich der umkämpften Donbass-Region liegt Stalingrad. Ging es denn im II. Weltkrieg aus deutscher Sicht überhaupt um diesen namengebenden und darum symbolträchtigen Ort? Wohl kaum! Viel eher waren die sagenhaften Erdölressourcen der Länder des Kaukasus das Hauptziel, deshalb die Aufteilung in die drei Heeresgruppen Nord, Mitte und Süd. Wenn alles aus der kleinbürgerlichen Sicht des GröFaZ, des selbsternannten größten Feldherrn aller Zeiten also, geklappt hätte, dann hätten sich hier im Kaukasus die Kampfverbände der Heeresgruppe Süd mit den Panzertruppen von Rommels DAK, des deutschen Afrika-Korps, vereinigen sollen. Bekanntermaßen hat Rommel El-Alamein erreicht, bis Kairo sollte er am Ende des Tages nicht gelangen. Wer cineastische und literarische Neigungen hat, dem seien der Roman von Michael Ondaatje und der gleichnamige Film mit Ralph Fiennes und Kristin Scott-Thomas als Hauptdarstellern „Der englische Patient“ ans Herz gelegt.

Unser Gewährsmann saß 1979 mit an Bord jenes Flugzeuges, das den Ajatollah Khomeini aus dem Pariser Exil zurück nach Teheran brachte. Die Mission war eindeutig: Ablösung des Schah-Regimes und Ersetzung durch eine Islamische Republik, einer Staatsform also, in der die aus dem Westen bekannte Trennung zwischen Staat und Religion eben nicht stattfinden sollte. Aus der Sicht des Bloggers war die später deutliche Erkenntnistiefe des Auslandskorrespondenten das Resultat eigener Glaubenstiefe (s.o.), obwohl Scholl-Latour viele Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils vehement ablehnte wie z.B. den Verzicht auf das Lateinische in der Messe zugunsten der jeweils vorherrschenden Volkssprachen, und zwar mit der durchaus bemerkenswerten Begründung, es handele sich um eine Verwässerung des Ursprünglichen. Die einen verwässerten also, während die anderen ad origines gingen. Warum taten sie es? Eine der Antworten ist sicherlich die, dass sich im Nahen und Mittleren Osten die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass der politische Nationalismus westlicher Prägung hier vor Ort keine reelle Chance hatte. Spätestens seit dem Sechstagekrieg 1967, in dem Ägypten, Jordanien und Syrien eine demütigende Niederlage und eklatante Gebietsverluste gegenüber Israel erlitten haben, setzte sich allmählich ein Bewusstsein dieser Art durch. Rückwendung zu den Wurzeln der eigenen Religion war Scholl-Latour zufolge eine Antwort, der weitgehende Verzicht technologisch unterlegener Streitkräfte in kriegerischen Aktionen in offenen Feldschlachten gegen westliche Militärs eine andere Antwort. Es kommen an dieser Stelle wiederum die Vietnam-Erfahrungen Scholl-Latours ins Spiel und das Wissen um die Mittel und Möglichkeiten der vermeintlich Schwachen. Sie liegen eben in den Feldern, die wir im Westen mit den Begriffen asymmetrischer Kriegsführung, worunter sowohl Guerilla- und Partisanentaktiken als auch der Terrorismus zu verstehen sind, belegen. Sie wurden übrigens schon während der mittelalterlichen Kreuzzüge im Orient angewendet.

Doch wo in den Print- oder Onlinemedien, im öffentlich-rechtlichen oder Privatfernsehen begegnen einer interessierten Öffentlichkeit Wahrheiten derartiger Ausprägung? Man darf sie mit der Lupe suchen.

Deshalb vermissen wir Peter Scholl-Latour sehr. Möge er in Frieden ruhen!

 

Bildnachweis von oben links nach unten rechts:

Bild 1: Yanalya©Freepik.com

Bild 2: Mira Pavlakovic©Freepik.com

Bild 3: Nikitabuida©Freepik.com

 

 

 

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