David Livingstone, Entdecker in Afrika

In den vergangenen Monaten sind in diesem Blog mehrere Beiträge zur englischen und britischen Geschichte erschienen. Zwei von ihnen haben sich ausführlich bedeutenden Persönlichkeiten zugewendet. Im November 2018 ist mit Queen Victoria die Königin näher vorgestellt worden, die einem ganzen Zeitalter als Namensgeberin dient, und im Monat darauf, im Dezember 2018, mit Charles Dickens ein Kulturschaffender, dessen literarisches Werk noch in der Gegenwart eine treue Fangemeinde besitzt.

There’s no sense in going further – it’s the edge of cultivation

Als Rudyard Kipling sein Gedicht „The Explorer“ im Jahr 1898 veröffentlichte, da hatte er jenen verwegenen und abenteuerlustigen Menschenschlag vor Augen, dem Entbehrungen, Gefahren und ein Leben fernab der Zivilisation in den Dschungeln und Urwäldern nahezu undurchdringlicher Wildnis weniger auszumachen scheinen als den Mitgliedern der Gesellschaft, die sich in ihrer bürgerlichen Existenz behaglich eingerichtet haben.

Zwar gibt es noch heute Gegenden auf der Erde, die kartographisch nur unzureichend erfasst sind, weiße Flecken auf der Landkarte, die sprichwörtliche „terra incognita“ hingegen nicht mehr. Diese Situation hat sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollkommen anders dargestellt. Für den afrikanischen Kontinent südlich der Sahara galt ganz generell, dass allenfalls schmale Küstenstreifen Europäern bekannt waren. Die Jahre der Entdecker, denen Kipling am Ende des Jahrhunderts seine lyrische Referenz erwiesen hat, waren angebrochen. Schillernde Persönlichkeiten wie René Caillié, Paul Crampel, Heinrich Barth, Gustav Nachtigal, Pierre Savorgnan de Brazza, Florence und Samuel White Baker, Richard Francis Burton, John Speke, James Grant, Henry Morton Stanley und nicht zuletzt David Livingstone haben die Fundamente allgemein anerkannter geographischer Kenntnisse gelegt. Der bisweilen in Form des eigenen Lebens zu entrichtende Tribut, wie es Mungo Park 1806 auf seiner zweiten Reise entlang des Niger widerfahren ist, schwebte ihnen allen vor Augen.

Vom Baumwollspinner zum Missionar

Dem 1813 in der Nähe des schottischen Glasgow in ärmlichen Verhältnissen geborenen Livingstone war ein Leben als Afrikaforscher und Entdecker gewiss nicht in die Wiege gelegt. Bereits im Alter von zehn Jahren ist es für ihn notwendig geworden, in einer Weberei zu arbeiten. Von seinem ersten Lohn, so heißt es, habe er sich eine lateinische Grammatik gekauft. Der schulische Bildungsweg des jungen David wurde in Abendkursen derart vervollständigt, dass späterhin ein Medizinstudium möglich wurde. Livingstone schloss es 1840 als promovierter Arzt erfolgreich ab.

Seit den Jahren der Auseinandersetzung mit dem revolutionären Frankreich hatten sich inzwischen mehrere Missionsgesellschaften in der britischen Gesellschaft fest zu etablieren begonnen. 1792 nahm die Baptist Missionary Society ihre Arbeit auf, die London Missionary Society folgte 1795 und die Anglican Church Missionary Society 1799. Eine nicht unbeträchtliche Zahl innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen machte eine Art von Bewußtseinswandel durch, indem nunmehr Begriffe wie Empfindsamkeit und Empathie eine wichtigere Rolle als vormals einnahmen. Weitere Charakteristika des als Variante des Protestantismus sich ausbildenden Evangelikalismus waren Erweckungs- und Bekehrungserlebnisse sowie der Aufbau einer persönlichen Beziehung des Gläubigen zu Jesus Christus.

Diese Faktoren blieben nicht ohne Einfluss auf den seinen Platz in der Welt suchenden Livingstone, sie blieben gleichfalls nicht ohne Auswirkungen auf die britische Gesellschaft insgesamt. Was beispielsweise das Verhältnis zur Sklaverei betraf, gelang es 1807 zunächst ein Verbot des Sklavenhandels durchzusetzen, und zwar gegen die ökonomischen Interessen der im personalintensiven Zuckerrohranbau tätigen Plantagenbesitzer der westindischen Kolonien in der Karibik. Mit Wirkung vom 1. August 1834 wurde die Sklaverei dann vollends in allen britischen Kolonien aufgehoben. Vergleichend könnte man anfügen, dass in den USA erst drei Jahrzehnte und einen auch aus eben diesem Grund geführten Bürgerkrieg später damit übereinstimmende Rechtspositionen erreicht wurden.

In Afrika

Missionsstationen in Kuruman, Mabotsa und Kolobeng im heute als Botswana bekannten Betschuanaland stellten die hauptsächlichen Arbeits- und Aufenthaltsorte für den jungen Missionar im Verlauf des ersten Jahrzehnts auf dem afrikanischen Kontinent bis 1849 dar. Er lehrt die Einheimischen Techniken des Gartenbaus und der Weberei und natürlich das Evangelium. Livingstone stellt seine medizinischen Kenntnisse zur Verfügung und heiratet mit Mary Moffat die Tochter eines anderen Missionars.

Sein Wahlspruch „Handel, Christentum und Zivilisation“ steht indes in auffälligem Kontrast zu dem Vorwurf, der von burischer Seite gegenüber Livingstone erhoben wurde, wonach er nur ein besonders raffinierter Goldsucher sei. Der Oxford- Historiker John Darwin hat darauf hingewiesen, dass der derart Gescholtene diesen Vorwurf selbst nie abgestritten hat (s. John Darwin, Das unvollendete Weltreich. Aufstieg und Niedergang des Britischen Empire 1600-1997, Frankfurt 2013, S. 279).

Ein notwendiger und vorurteilsfreier Blick auf den Status des British Empire auf dem afrikanischen Kontinent um 1840 zeigt: Mit Sierra Leone im Westen und der Kapkolonie im Süden existieren nicht mehr als zwei Kronkolonien, in Gambia und der Gold Coast, dem heutigen Ghana, kommen einige befestigte Handelsstützpunkte hinzu, des Weiteren erwartet Natal seine Annektion 1843. Die Wunschvorstellungen eines Cecil Rhodes von einem britisch beherrschten Ostteil des Kontinents von Kapstadt bis Kairo gehören dem Zeitalter des Hochimperialismus an und liegen noch in der Ferne, der Startschuss für den Wettlauf um Afrika ist noch nicht gefallen. Vorher jedoch bedurfte es genauester geographischer Kenntnisse, möglichst präziser vermessungstechnischer Erfassung und Kartierung, des Inneren von Süd- und Zentralafrika. Entscheidende und bedeutende Beiträge dazu sollten von David Livingstone erbracht werden.

Während der ersten siebenjährigen Forschungsreise, die sich in verschiedene einzelne Unternehmungen gliedert, durchquerte er ab 1849 die Kalahariwüste und anschließend vom Sambesi ausgehend den gesamten Kontinent auf einer gedachten Linie, die ungefähr vom angolanischen Luanda am Atlantik im Westen bis zum am Indischen Ozean im Osten gelegenen Quelimane in Mosambik verläuft. Dabei entdeckte der vom Missionar zum Forscher Gewandelte 1855 am Mittellauf des Sambesi die von den Einheimischen Mosioatunya, was soviel wie „donnernder Rauch“ heißt, genannten riesigen Wasserfälle und verlieh ihnen den Namen Victoria Falls. Als Ergebnis wurden die zweibändigen „Missionary travels and resarches in South Africa“ publiziert und neben finanziellem Erfolg winken erste Ehrentitel. Als britischer Konsul für die Ostküste Afrikas startete Livingstone seine nächste große Expedition, die am 16. September 1859 zur Entdeckung des Njassasees, des heutigen Malawisees, geführt hat. Der Njassasee am Südrand des ostafrikanischen Grabens bedeckt mit einer Wasserfläche von annähernd dreißigtausend Quadratkilometern ein Gebiet von der Größe des Staates Belgien und ist nach Viktoria- und Tanganjikasee der drittgrößte See Afrikas überhaupt. In demselben Jahr, in dem Charles Darwin sein Hauptwerk „On the Origin of Species“ veröffentlichte und damit die Grundlagen der modernen Evolutionsbiologie gelegt hat, wurde also ein See gefunden, der über 400 Fischarten, viele von ihnen Buntbarsche, beherbergt, von denen die meisten endemisch sind. Sie leben also nur hier. Wie die Darwinfinken auf den Galapagosinseln.

Die letzte große Expedition startete der mittlerweile in Europa bekannte und berühmte Afrikaexperte von Sansibar aus. Seine Frau Mary konnte ihn nicht mehr begleiten, da sie 1862 an Malaria erkrankte und verstarb. Das uralte Menschheitsrätsel von den Quellen des Nils musste also von ihm allein gelöst werden. Was Livingstone selbst zu diesem Thema dachte, erläutert sein Tagebucheintrag vom 8. November 1868: “ (…) Ich litt zwei Tage am Fieber. Jetzt besser. Die Entdeckung der Nilquellen ist wichtiger als die der Nordwestdurchfahrt, die doch so große Anforderungen an die beteiligten Engländer stellte – sie ist vor allem von unendlich größerem praktischen Wert: sie ermöglicht Auswertungen, die bei der Nordwestdurchfahrt gar nicht in Frage kommen. Die großen Männer des Altertums wünschten immer wieder Ägyptens himmelentsprungene Quelle – das Wort ist von Homer – zu erforschen. Sesostris, der erste Pharao, der strategische Karten anfertigte, wollte, wie Eustathius berichtet, zu den Nilquellen vordringen. Alexander der Große, der an der Flußmündung eine Stadt gründete, empfand den gleichen Wunsch. Bei Lucanus findet sich eine Stelle, in der Julius Caesar sagt, er wolle gern den Bürgerkrieg aufgeben, wenn es ihm vergönnt wäre, die Quellen des Nils zu schauen. Kaiser Nero entsandte zwei Offiziere nach Ägypten, um das „caput Nili“ zu erforschen. Sie behaupteten, sie hätten den Nil aus zwei Felsen hervorströmen gesehen. Offenbar gaben sie etwas, was ihnen von ägyptischen Eingeborenen erzählt wurde, für selbstgesehen aus. (…) Erst der Fleiß Englands hat erkannt, was das Altertum zu wissen erstrebte. (…) (aus: David Livingstone, Die Erschließung des dunklen Erdteils. Reisetagebücher 1866-1873, Hamburg/Norderstedt 2006, S. 143)

Ebenso wenig wie es John Franklin vergönnt war, den Weg für eine erfolgreiche Nordwestdurchfahrt zu finden, ebenso wenig hat Livingstone trotz Unterstützung durch Stanley die Quellen des Nils aufgespürt. Noch die letzten Tagebucheinträge des von den gewaltigen Anstrengungen Erschöpften enthüllen nie verzagenden Optimismus wie aus dem Eintrag vom 25. März 1873 deutlich wird: „Keine Macht der Welt kann mich dazu bringen, am Erfolg meines Werks zu zweifeln oder es aufzugeben. Brachen um sieben Uhr morgens auf. Ringsum nichts als Wasser und kleine Schilfinseln. Der Wind im Schilf erzeugt ein Geräusch, als ob die Wogen des Meeres brausten. Fische in Überfluß. Nach sechsstündigem Rudern hören wir Kinderstimmen. Es war ein Dorf, das auch unter der Überschwemmung leidet, aber durch Kassawawälle geschützt ist. Wir fanden einen trockenen Fleck Erde, auf dem wir lagerten.“ (aus: David Livingstone, Die Erschließung des dunklen Erdteils. Reisetagebücher 1866-1873, Hamburg/Norderstedt 2006, S. 241)

Nur wenige Tage später am 1. Mai 1873 verstarb der große Afrikaforscher vor Ort an den Folgen der auch als Ruhr bekannten Dysenterie.

 

 

 

 

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