Buchbesprechung: „Die Öffnung der Welt“ von Angelos Chaniotis

Hellenismus zu Zeiten des römischen Kaisers Hadrian?

Es war die 31 v. Chr. im Mittelmeer bei Actium ausgefochtene Seeschlacht, die zugunsten Octavians entschieden wurde und seinem Gegenspieler Marcus Antonius die alles entscheidende Niederlage beibrachte. Wer mit Antonius verbündet war, hatte vom Sieger wenig Gutes zu erwarten. Die verdüsterten Zukunftsaussichten Kleopatras VII., der ägyptischen Herrscherin, bestanden demzufolge darin, nach ihrer Gefangennahme im Triumphzug durch Rom geführt zu werden. Die letzte Königin aus der Dynastie der Ptolemäer entschied sich daher im Jahr 30 v. Chr. dafür, lieber den Freitod in Kauf zu nehmen. Der Biss einer Kobra soll das erwünschte Ergebnis herbeigeführt haben.

Neben dem tragischen Einzelschicksal bedeutete dies auch den Verlust der Eigenständigkeit und Eigenstaatlichkeit des letzten der großen hellenistischen Königreiche, die nach dem Tod Alexander des Großen 323 v. Chr. entstanden waren. Die wichtigsten von ihnen sind von den Dynastien der Seleukiden in Zentralasien westwärts bis Syrien und ostwärts bis nach Indien und von den bereits erwähnten Ptolemäern hauptsächlich in Ägypten, aber auch auf Zypern und im südlichen Kleinasien begründet worden. Die Antagoniden in Makedonien und Zentralgriechenland sowie die Attaliden mit ihrem Zentrum in Pergamon rundeten das Bild ab. Die territoriale Grundlage für den Hellenismus – verstanden als Nachahmung griechischer Lebensweise – ist also von Alexander und ihn begleitenden Soldaten in höheren Offiziersrängen erschaffen worden.

Die in diesem Zusammenhang vorgenommenen zahlreichen Stadtgründungen verschaffen uns zum Teil noch heute Aufschluss darüber, welche stadtplanerischen Ideen und Konzepte seinerzeit bestimmend gewesen sind. Bei nach dem hippodamischen Prinzip konstruierten Stadtanlagen wie Dura-Europos am Euphrat vermittelt das System sich rechtwinklig kreuzender Straßen und dazwischen gelagerter Baublöcke gleichartigen Zuschnitts den Eindruck beabsichtigter Rationalität. Einschließlich des vorab ausgesparten öffentlichen Raumes für Gebäude wie Rathäuser, Theater und Tempel oder auch Marktplätze wird die Bauidee des römischen Militärlagers, wie man es im algerischen Timgad oder der Provinz Germania inferior in Xanten vorfindet, antizipiert.

Was jedoch mögen griechische Sprache und Kultur mit dem bis 138 n. Chr. lebenden römischen Kaiser Hadrian zu tun gehabt haben? Eine neue faszinierende Interpretation zu diesem Thema hat der früher in Diensten der Universität Heidelberg befindliche und heute in Princeton tätige Althistoriker Angelos Chaniotis mit dem Untertitel „Eine Globalgeschichte des Hellenismus“ vorgestellt. Erschienen ist sie im September 2019 in der deutschen Übersetzung von Martin Hallmannsecker im Verlag wbg Theiss. Chaniotis räumt auf mit der seit den Tagen Droysens üblichen zeitlichen Begrenzung auf ca. 300 Jahre und schlägt stattdessen ein annähernd fünfhundertjähriges „langes hellenistisches Zeitalter“ vor. Als Begründung dafür wird festgestellt: „In der Gesellschafts-, Wirtschafts-, Religions- und Kulturgeschichte hingegen stellt das Jahr 30 v. Chr. keine Zäsur dar. Entwicklungen, die wir in hellenistischer Zeit beobachten können, setzten sich in den zwei Jahrhunderten nach Kleopatras Tod fort“ (s. S. 11)

Das Imperium Romanum erreichte schließlich unter Trajan seine größte räumliche Ausdehnung. Seinen Adoptivsohn Hadrian, der ihm 117 n. Chr. im Alter von 41 Jahren in der Herrschaft nachfolgte, kann man mit Recht als Konsolidierer ansehen, nicht zuletzt wegen der unter seiner Ägide zum Schutz vor den Pikten entstandenen und seinen Namen tragenden Grenzbefestigungsanlage im Norden Britanniens. Dass sich Hadrians Graecophilie indessen nicht nur in Begeisterung für dort entstandene  Literatur und Kunst erschöpfte, macht Chaniotis am Beispiel des Panhellenions deutlich: „Im Frühjahr 131 n. Chr. trat Hadrian über Syrien, Kleinasien und Athen seine lange Rückreise nach Rom an. Sein größter Erfolg während dieser zweiten Reise war die Gründung des Panhellenions im Jahr 132 n. Chr. Er wollte damit ein Ratsgremium schaffen, in dem alle griechischen Städte vertreten sein sollten. Hiermit führte er eine Tradition fort, die bis zu den Perserkriegen und der zeitweiligen Einheit der Griechen zurückreichte, kombinierte sie jedoch mit dem Konzept religiöser Zentren wie Olympia und Delphi, die die Griechen in ihrer Gesamtheit zu vertreten beanspruchten; so schuf Hadrian eine Institution, die all diejenigen Städte vereinte, die ihren hellenischen Ursprung überzeugend glaubhaft machen konnten. Die Gründung des Panhellenions war eine Einladung an weit entfernte Städte, einen Nachweis ihres griechischen Ursprungs vorzubringen. Dieser Akt beförderte nicht nur lokale Geschichtsschreibung, sondern gab auch einen wichtigen Anstoß zur Definierung einer griechischen Identität. Das Panhellenion wurde zur Bühne für die Zurschaustellung hellenischer Identität und für den Konkurrenzkampf der griechischen Städte untereinander.“ (s. S. 297f.)

Menschen und Ideen in Bewegung

Im Hellenismus sind nicht nur zahlreiche Städte gegründet worden, von denen Alexandria Arachosia, das heutige Kandahar in Afghanistan, nicht einmal am weitesten östlich gelegen war. Mit dem Koloss von Rhodos und dem Pharos von Alexandria, einem gewaltigen Leuchtturm an der Hafeneinfahrt, sind zwei der antiken Weltwunder in dieser für die kulturelle Entwicklung der Menschheit bedeutsamen Epoche entstanden. Religiöse Glaubensrichtungen wie das Christentum oder der bei den Legionären so beliebte Mithraskult, eine aus dem Osten stammende Mysterienreligion, fingen währenddessen allmählich an sich zu verbreiten.

Um zu seinen Erkenntnissen zu gelangen, hat der Epigraphiker Chaniotis neben der maßgeblichen antiken und natürlich ebenso modernen Literatur zahllose Bau-, Grab-, Weih- und Ehreninschriften, wie sie sich in den bereits seit dem 19. Jahrhundert angelegten Sammelwerken des Corpus Inscriptionum Graecarum“ (CIG) oder den „Inscriptiones Graecae“ (IG) befinden, ausgewertet.

Zum Thema Bewegung stellt der Autor fest: „Allgemein gesprochen war das 2. Jahrhundert n. Chr. aber ein goldenes Zeitalter für reisende Gelehrte, und ihr Unterricht und ihre Vorträge trugen signifikant zur Homogenisierung der Kultur und zur Verbreitung von Ideen sowie literarischer und rhetorischer Stilrichtungen bei. „Nach Osten“ war die Losung für die meisten Griechen unter den Nachfolgern Alexanders, und bis auf wenige (aber bedeutende) Ausnahmen – wie Pyrrhus mit seinen Feldzügen in Italien und Sizilien – blieb dies über Jahrhunderte hinweg unverändert. Als Rom seine Stellung im Zentrum der oikumene konsolidierte und die pax Romana das Reisen verhältnismäßig sicher machte, fanden Einzelpersonen und Personengruppen aus Griechenland und den hellenisierten Provinzen ihren Weg nach Rom, Italien und in die westlichen Provinzen. Literaten, Schauspieler und Athleten stellten unter ihnen eine Minderheit dar, die in unseren Quellen allerdings überrepräsentiert ist; die meisten waren Sklaven, Händler, Künstler und Facharbeiter.“ (s. S. 450f.) Wie der Autor schreibt, ist das Reisen seit der Zeit des Augustus sicherer geworden, komfortabler gewiss auch auf Straßen, die als Lebensadern die Provinzen durchzogen und zur Vernetzung der Menschen ihren Beitrag leisteten.

Fazit

Diejenigen Leserinnen und Leser, die in der glücklichen Lage sind, über ein gewisses Vorwissen zu verfügen, werden „Die Öffnung der Welt“ von Angelos Chaniotis sicherlich mit noch mehr Gewinn lesen.

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