Werden einer privaten Sammlerin oder einem Sammler Kunstgegenstände von einigem Wert durch Diebstahl oder der strafrechtlich schwerwiegenderen Variante durch Raub entwendet, hält sich die öffentliche Anteilnahme für gewöhnlich in überschaubaren Grenzen. Es hat ja offensichtlich niemanden getroffen, der oder die sich diesen Luxus nicht hätten leisten können. Trifft es dagegen, wie im November 2019 in Dresden geschehen, mit dem Grünen Gewölbe ein in öffentlicher Hand befindliches Museum, so führt der zumindest vorläufige, möglicherweise aber auch endgültige Verlust der in diesem Fall kostbaren diamantenbesetzten Schmuckensembles zu einem weithin wahrnehmbaren Aufschrei des Entsetzens. Schnell machen Worte von verloren gegangener Identität der gesamten Kulturnation die Runde. In diesem Sinne hat sich beispielsweise die zuständige Staatsministerin Grütters ausgedrückt und damit dem bedauerlichen Ereignis zutreffend überregionale Bedeutung beigemessen.
Einmalig jedoch im Sinne von gänzlich unvorhersehbaren und vollkommen unerwarteten Ereignissen ist an kunsträuberischen Aktionen, ob sie nun die öffentliche oder private Hand betreffen, nur sehr wenig. Es hat sie immer gegeben, und es wird sie mutmaßlich immer geben. Wenn etwas jedoch in Erstaunen versetzen kann, dann ist es der Modus operandi an sich und der Status bzw. die Rolle, die die daran beteiligten (bisweilen auch staatlichen) Akteure einnehmen.
Cicero gegen Verres
So verfügen wir schon für die Spätphase der Römischen Republik über einschlägige Informationen, was das Thema Kunstraub durch Amtsträger betrifft. Die Region, um die es geht, ist die Insel Sizilien, der bereits im Jahr 227 v. Chr. das Schicksal widerfahren ist, erste römische Provinz zu werden. Neben der strategischen Bedeutung Siziliens war vor allem der insulare Getreidereichtum für Rom von Interesse. Zur besseren Durchsetzung eigener Belange wurde in Syrakus ein Statthalter im Range eine Prätors eingesetzt, dem wiederum zwei Quästoren, einer in Syrakus und einer im Westen in Lilybaeum, Unterstützung vor allem bei der Beaufsichtigung der Steuereintreiber, der berüchtigten als freie Unternehmer agierenden publicani, leisteten.
Der als Philosoph und Politiker bekannte Marcus Tullius Cicero, der gerade selbst für ein Jahr das Amt eines Quästors auf Sizilien bekleidet hatte, vertrat als Ankläger in einem im Jahr 70 v. Chr. eingeleiteten gerichtlichen Prozessgeschehen die Interessen zahlreicher Einwohner Siziliens in einem sogenannten Repetundenprozess gegen Gaius Verres. Repetundenprozesse richteten sich gegen ehemalige Amtsträger, die während ihrer Amtszeit Immunität genossen und juristisch nicht belangt werden konnten. Verres war ein solcher ehemaliger Amtsträger, und zwar im Range eines Prätors in Syrakus.
Die in diesem Zusammenhang von Cicero verfasste vierte Prozessrede wurde zwar nicht mehr gehalten, da sich Verres der Verhandlung inzwischen durch Flucht entzogen hatte, sie ist dennoch veröffentlicht worden und gibt kenntnisreiche Einblicke in das, was geschehen ist. Der zunächst vorgetragene Vorwurf lautet: „Ich sage, dass es auf ganz Sizilien, dieser so reichen, so alten Provinz, mit so vielen Städten, so vielen so wohlhabenden Familien, nicht irgendeine Vase, weder eine korinthische noch eine delische, nicht irgendeinen Edelstein oder irgendeine Perle, nicht irgendetwas aus Gold oder Elfenbein, weder eine bronzene noch eine marmorne noch eine elfenbeinerne Statue gegeben hat, ich sage, dass es nicht irgendein Bild, weder auf einem Gemälde noch auf einem Tuch gegeben hat, was er nicht aufspürte, inspizierte und fortschaffte, wenn es ihm gefallen hat.“ (s. Cicero, In Verrem, II, 4, Kap. 1) Die hohe Wertschätzung, die griechische Keramik bei den Römern genoss, wird hier deutlich, noch verbleibt die Anklage jedoch im allgemeinen, was sich rasch ändert: „All diese Bildnisse, die ich nannte, ihr Richter, raubte Verres dem Heius aus der Hauskapelle; keines von diesen, wie ich sagte, ließ er zurück – ja überhaupt nichts außer einem sehr alten Holzbildnis, einer „Bona Fortuna“, wie ich meine. Die wollte der da nicht in seinem Haus haben.“ (s. Cicero, In Verrem, II, 4, Kap. 7) Bald darauf wird das Argument, dass formal ein Kauf stattgefunden habe, entkräftet: „Sonach sehe ich, dass Heius weder durch seinen freien Willen noch durch schwere Zeiten noch durch die Größe des Geldbetrages dazu veranlasst wurde, diese Statuen zu verkaufen, und dass du ebendiese Statuen durch das Vortäuschen eines Kaufs, durch Gewalt, durch Furcht, mittels deiner Befehlsgewalt und deiner politischen Stellung diesem Menschen, den das römische Volk, samt der übrigen Bundesgenossen, nicht nur deiner politischen Macht, sondern auch deiner Obhut anvertraut hatte, entrissen und geraubt hast.“ (s. Cicero, In Verrem, II, 4, Kap. 14) Später wird das Verhalten von Verres zusammenfassend dahingehend charakterisiert, dass: „Nicht nur keine Stadt, sondern nicht einmal irgendein Haus, das ein bisschen begütert war, wird man vom Unrecht dieses Mannes unbetroffen vorfinden. Nachdem er zum Gastmahl gekommen war, konnte er, wenn er irgendetwas an Ziseliertem erblickt hatte, seine Hände nicht davon lassen.“ (s. Cicero, In Verrem, II, 4, Kap. 48)

Sizilien 1. Jh. v. Chr.
Inwieweit die durch die Sklavenaufstände des Spartacus und seiner Gefährten aufgeheizte allgemeine Lage jener Zeit dem Verhalten des Verres Vorschub geleistet haben mag, darüber ist nichts bekannt. Von der unter Augustus im Imperium Romanum sich ausbreitenden als Pax Romana bekannten Friedenszeit war man jedenfalls noch Jahrzehnte und mehrere Bürgerkriege entfernt. 140 Jahre nach den Ereignissen auf Sizilien ist es dann die Notwendigkeit zur Beruhigung der Lage im Nahen Osten gewesen, die mit Vespasian und Titus Angehörige der zukünftigen flavischen Kaiserdynastie und die Stadt Jerusalem in den Blickpunkt des von Flavius Josephus überlieferten Geschehens gerückt hat.
Titus und die Zerstörung des Tempels
Die Ereignisse in Judäa, seit dem Jahr 6 n. Chr. der römischen Provinz Syria angegliedert, nahmen ihren Lauf, als der dortige Prokurator Gessius Florus, eine Art von Unterstatthalter, im Frühling 66 n. Chr. damit beginnen ließ, den Tempelschatz von Jerusalem zu plündern. Als Erklärung wurde dafür die auf römischer Seite bestehende Unzufriedenheit mit der Höhe der vor Ort geleisteten Steuern vorgeschlagen. Steuern, die man insbesondere für den Wiederaufbau Roms nach den Brandverwüstungen in Neronischer Zeit gut hätte verwenden können.
Als Folge eskalierender Auseinandersetzungen im Rahmen des Großen Aufstands ist Jerusalem im Frühling 70 n. Chr. eingekesselt und dann im September desselben Jahres erobert und niedergebrannt worden. Nachdem die Babylonier 586 v. Chr. den Salomonischen Tempel zerstört und die Überlebenden in die Babylonische Gefangenschaft geführt hatten, haben die dort inzwischen wieder beheimateten Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinschaft 650 Jahre später den erneuten Verlust ihres religiösen Zentrums erleben müssen. Was sich im einzelnen zugetragen hat, darüber berichtet der Historiker Flavius Josephus: „Während der Tempel in Flammen aufging, raubten die Soldaten, was ihnen in den Wurf kam, und richteten unter denen, auf die sie stießen, ein ungeheures Blutbad an.“ (s. Flavius Josephus, Bellum Judaicum, VI, Kap. 5, 271)
Der Bericht des Gewährsmanns und Augenzeugen, der in römischen Diensten als Dolmetscher tätig und mit der Befragung von Gefangenen und Überläufern befasst gewesen ist, enthält auch Informationen darüber, welcher Kostbarkeiten sich die Legionäre zu bemächtigen wussten: „Er brachte aus der Wand des Tempelhauses zwei Leuchter zum Vorschein, welche den im Heiligthum stehenden sehr ähnlich waren, dann auch Tücher, Mischkrüge und Schalen. Alles von massivem Golde und von bedeutendem Gewichte. Ferner liefert er die Vorhänge und die Amtskleidung des jeweiligen Hohenpriesters mit den Edelsteinen daran, wie auch viele andere beim heiligen Dienst in Verwendung kommende Gerätschaften aus.“ (s. Flavius Josephus, Bellum Judaicum, VI, Kap. 8, 388, 389) An einer anderen Stelle heißt es schließlich: „Als die Rebellen in die Stadt hinuntergeflohen waren, und das eigentliche Tempelgebäude mit allen umliegenden Bauten ein Raub der Flammen geworden, trugen die Römer ihre Adler in das Heiligthum und stellten sie dem Ostthore gegenüber auf. Hier wurde ihnen nun ein Opfer dargebracht, und unter den begeisterten Glückwünschen Titus von den Soldaten zum Imperator ausgerufen. Alle Soldaten hatten sich mit erbeuteten Schätzen so voll gestopft, dass man in Syrien ein bestimmtes Gewicht Goldes nur mehr um die Hälfte seines früheren Wertes an den Mann bringen konnte“ (s. Flavius Josephus, Bellum Judaicum, VI, Kap. 6, 316, 317). Der Wert des Goldes hatte sich demnach in der Folge halbiert.

Relief vom Titusbogen, Rom, 1. Jh. n. Chr. (graphisch bearbeitet).
Die beschriebenen Ereignisse sind nicht allein schriftlich, sondern zum Teil auch bildlich festgehalten worden. Die Abbildung oben zeigt eines von zwei am Titusbogen in Rom befindlichen Reliefs aus pentelischem Marmor. Der 81 n. Chr. vom Senat und Volk von Rom (SPQR) dem vergöttlichten Kaiser gestiftete Ehrenbogen ist 14,50m hoch. Um eine Vorstellung von den Dimensionen des Reliefs zu geben: Es ist 3,85m lang und 2,40m hoch und an der Laibung des Torbogens angebracht. Die dargestellten jüdischen Sklaven und römischen Soldaten haben schwer an den Beutestücken zu tragen, die aus Jerusalem geraubt worden sind. Besonders gut erkennbar ist in der Mitte des Reliefs der goldene siebenarmige Leuchter, die Menora, aus dem zerstörten Tempel selbst. Rom ist schließlich nicht der endgültige Aufbewahrungsort für den Leuchter geblieben, da die die ewige Stadt heimsuchenden Vandalen ihn um die Mitte des fünften Jahrhunderts bis ins nordafrikanische Karthago verbracht haben sollen. Danach verliert sich allmählich die Spur.
Zum Schluss
Die hier vorgestellten Beispiele aus der Antike zeigen exemplarisch, wie tiefgreifend und nachhaltig Kunstraub die davon Betroffenen schädigen kann. Dabei geht es gar nicht in erster Linie um den innewohnenden und unwiederbringlich verloren gegangenen Materialwert, sondern um Identität von Individuen und Personengruppen, deren Selbstverständnis sich offenbar in bestimmten Gegenständen aus den Feldern Kunst und Kultur extrem verdichtet ausdrückt.
Im nächsten Beitrag möchte ich einige Aspekte des Themas „Kunstraub in Napoleonischer Zeit“ vorstellen.
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