Kunstraub in der NS-Zeit

Welche Künstlerinnen und Künstler verfemt und verfolgt, welche Kunststile als unangemessen und mit vorgeblichem deutschen Kunstempfinden unvereinbar verachtet wurden, darüber hat in diesem Blog der Beitrag „Maler, Museen und Motive oder wie aus „Entarteter Kunst“ Raubkunst wurde (1. Teil)“ im Mai 2018 informiert.

Entsprechend dieser negativen Einschätzung und Etikettierung moderner Kunst ist die nationale öffentliche Museumslandschaft durch Beschlagnahmeaktionen seitens staatlicher Akteure im Verlauf der Jahre 1937 und 1938 um ihre hervorragendsten Bestände an Gegenwartskunst gebracht worden. Vielfach unwiederbringlich!

Bevor jedoch die Frage erörtert werden kann, was mit all den Liebermanns, Kandinskys oder Noldes aus öffentlichen Sammlungen geschehen ist, muss der Blick auf jene privaten Sammler und Kunstliebhaber gerichtet werden, die in Konflikt mit den wahnhaften rassischen Vorstellungen der NS-Machthaber gerieten.

Zunehmende Enteignung der jüdischen Bevölkerung 

Zwar hatte der nationalsozialistische Staatsapparat im Laufe der Zeit an die 400 antijüdische Gesetze geschaffen, um unter anderem ganz gezielt Ausbeutung möglichst effizient zu organisieren, doch diese Entwicklung verlief schrittweise und war in ihren zunehmend radikaleren Auswirkungen anfangs für viele Betroffene wohl nicht absehbar. Dafür sprechen Äußerungen, wie sie unmittelbar nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze im Herbst 1935 Propagandaminister Joseph Goebbels auf einer Versammlung von sich gegeben hat: „Wir haben … gar kein Interesse daran, die Juden zu zwingen, ihr Geld im Auslande auszugeben. Sie sollen es hier ausgeben. Man soll sie nicht in jedes Bad hineinlassen, aber man soll sagen: Wir haben hier oben an der Ostsee – sagen wir einmal: hundert Bäder; eins davon, da kommen die Juden hin, da kriegen sie jüdische Kellner und jüdische Geschäftsdirektoren und jüdische Badedirektoren und da können sie ihre jüdischen Zeitungen lesen, da wollen wir gar nichts von wissen; das soll nicht das schönste Bad sein, sondern vielleicht das schlechteste, das wir haben, das geben wir ihnen (Heiterkeit), – und in den anderen, da sind wir unter uns.“ (s. Helmut Heiber (Hrsg.), Goebbels-Reden, Bd. I, 1932 – 1939, Düsseldorf 1971, S. 246)

Der Antisemitismus als gesellschaftsspaltendes Prinzip war spätestens damit etabliert. Jüdischen Kunsthändlern und Galeristen war noch im gleichen Jahr durch die Reichskammer der Bildenden Künste ein allgemeines Berufsverbot auferlegt worden, so dass der Lebensunterhalt mit dem An- und Verkauf von Kunst nicht mehr bestritten werden konnte. Im Ergebnis war denjenigen, die auf diesem Gebiet bislang ein auskömmliches Dasein geführt haben, die Existenzgrundlage entzogen. Wer sich daraufhin notgedrungen zur Emigration entschloss, dem legte die stetig sich erhöhende sogenannte Reichsfluchtsteuer erhebliche finanzielle Belastungen in den Weg. Die Mitnahme einzelner Kunstwerke oder ganzer Sammlungen ins Ausland ist zudem schließlich am 6. Juni 1939 gesetzlich verboten worden.

Was derartige Erwägungen ganz lebenspraktisch für die davon Betroffenen bedeutet haben können, davon erzählt das Schicksal der Familie Littmann und ihrer Sammlung: „Zu den Künstlern, deren Werke Ismar Littmann sammelte, gehörten unter anderem Lucien Adrion, Max Beckmann, Otto Dix, Juan Gris, Erich Heckel, Oskar Kokoschka, Emil Nolde und Maurice Utrillo. 1933 konnte Littmann seinen Beruf als Rechtsanwalt nicht mehr ausüben. Er geriet (…) in große wirtschaftliche Schwierigkeiten und nahm sich 1934 das Leben, indem er Schlaftabletten schluckte. Um die Gläubiger zu bezahlen und die eigenen Kinder ernähren zu können, ließ Littmanns Witwe Käthe Teile der Familiensammlung verkaufen. Mehr als 100 Gemälde lieferte sie beim Berliner Auktionshaus Max Perl Unter den Linden ein, das einige davon in der 188. Auktion am 26./27. Februar 1935 anbot und auch verkaufte. Mit den dadurch erzielten geringen Einkünften finanzierte die Mutter den Unterhalt und die Auswamderung des Sohnes Hans nach Texas, der Tochter Eva nach New York, des Sohnes Franz und der Tochter Ruth nach Palästina. Käthe Littmann blieb selber noch bis 1938 in Breslau, bevor sie nach England emigrierte. 64 Bilder allerdings wurden vor der Perl-Auktion von der Gestapo beschlagnahmt – darunter Otto Muellers Zwei weibliche Halbakte, dessen weiteren Weg der in Washington lebende Kunstfahnder Willi A. Korte recherchierte: Das Mueller-Gemälde und die übrigen 63 Werke übergab die Gestapo zunächst der Berliner Nationalgalerie. Deren Direktor entschied, das Bild solle nicht wie Hunderte andere in der Heizung des Kronprinzenpalais verbrannt werden. Die Halbakte hingen dann ab Juli 1937 in der Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ unter der Raumüberschrift „Verhöhnung der Deutschen Frau Ideal: Kretin und Hure“. Als angebliche Leihgabe der Nationalgalerie sollten sie als Beleg für die polemische These gelten, die öffentlichen Museen gäben ihre Ankaufetats nur für minderwertige Werke aus. Als die NS-Regierung am 30. Juni 1939, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, in der Galerie Fischer in Luzern 125 Gemälde und Plastiken aus deutschem Museumsbesitz versteigern ließ, war als Nummer 101 auch das Mueller-Gemälde aus der Sammlung Littmann darunter. Obwohl es nicht aus Museums-, sondern aus Privatbesitz stammte, lautete die Bezeichnung im Katalog: „Berlin, Nationalgalerie“. Als das Bild, weit unter Wert auf nur 850 Franken geschätzt, keinen Käufer fand, ging es 1940 nach Deutschland an den Hamburger Kunsthändler Hildebrand Gurlitt.“ (s. Stefan Koldehoff, Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst, Frankfurt am Main 2009, S. 178f.)

Wer war Hildebrand Gurlitt?

Der 1895 in Dresden gebürtige Hildebrand Gurlitt hat in seinem ereignisreichen Leben viele Tätigkeiten ausgeübt und ist in zahlreichen Funktionen in Erscheinung getreten. Als Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg  brachte er es als junger Bursche zum Offizier, in der anschließenden Friedenszeit absolvierte er ein Studium der Kunstgeschichte, das er mit Promotion abschloss, wurde Museumsdirektor in Zwickau und geriet hier wegen seines avantgardistischen Kunstempfindens 1930 aufs Abstellgleis, er wurde entlassen. Heute erinnert man sich an Hildebrand Gurlitt vorwiegend, weil er der Vater des 2014 in seiner Schwabinger Wohnung verstorbenen Cornelius Gurlitt gewesen ist. Cornelius Gurlitt schließlich hat weltweite Bekanntheit durch die in seinem Besitz befindliche in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Kunstsammlung erlangt.

 

 

Zum Zeitpunkt der oben erwähnten Versteigerung der Sammlung Littmann in Luzern  war Hildebrand Gurlitt neben Karl Buchholz und Ferdinand Möller aus Berlin und Bernhard Böhmer aus Güstrow einer von reichsweit nur vier autorisierten Kunsthändlern, die „entartete Kunst“ ins Ausland verkaufen durften. Auf die dadurch eingenommenen Devisen mochte man dann doch nicht verzichten.

Sonderauftrag Linz

Nicht das verschmähte Wien, wo Adolf Hitler als junger Mann, mit seinen Bemühungen an der Kunstakademie aufgenommen zu werden, scheiterte, weil es an der notwendigen Begabung fehlte, sondern Linz an der Donau sollte das kulturelle Zentrum des Großdeutschen Reiches werden. Selbst Florenz sollte von der neu zu schaffenden Kulturstadt germanischer Wesensart übertroffen werden. Im Mittelpunkt hätte ein monumentales Führermuseum gestanden, für das man sich demzufolge anschickte, angemessene Kunstwerke zu erlangen. Zum Leiter des damit betrauten Sonderauftrag Linz wurde zunächst der Direktor der Dresdner Gemäldegalerie Hans Posse ernannt, nach seinem Tod 1942 folgte ihm der Experte für die vom Führer hochgeschätzte Kunst des 19. Jahrhunderts Hermann Voss nach. Einer seiner Haupteinkäufer sollte wiederum der bereits vorgestellte Hildebrand Gurlitt werden. Die militärischen Anfangserfolge der Wehrmacht ließen entsprechende Begehrlichkeiten in den besetzten Ländern West- und Osteuropas entstehen. Besonders die Kunstschätze Frankreichs gerieten in den Fokus.

Was in Frankreich geschah, ist indessen nicht dem Vergessen anheim gefallen: „Allein im Mai 1944 schickte Gurlitt Voss Rechnungen in Höhe von über 2,29 Millionen Reichsmark, und im Juni eine von über 3 Millionen. Im Juni machte er den teuersten Ankauf: vier Beauvais-Wandteppiche zu einem Preis von 2,2 Millionen Reichsmark. „Erbitte dringend recht umgehende Unterstützung bei Reichsstelle Papier für Devisenantrag Dr. Hildebrand Gurlitt Hamburg über Reichsmark drei Millionen einhundertdreißigtausend in ffrs. Größte Beschleunigung in Anbetracht besonderer Lage erforderlich“, telegraphierte Voss an die Devisenabteilung. Allein bei den Wandteppichen kassierte Gurlitt eine Provision von 156 000 Reichsmark. Michel Martin, der Kurator des Louvre, der für den französischen Zoll arbeitete, war natürlich entsetzt, dass so viele Kunstwerke unter künstlich hergestellten Bedingungen Frankreich verließen. Er versuchte es den deutschen Kunsthändlern so schwer wie möglich zu machen, Ausfuhrgenehmigungen zu bekommen. Er klügelte etliche bürokratische Verzögerungen aus, er forderte immer wieder neue Gutachten zu Kunstwerken, was endlosen Papierkram zur Folge hatte. Er wusste natürlich, dass ihn die Kunsthändler letzten Endes umgehen konnten, indem sie sich an ranghöhere Beamte wandten. Gurlitt war keine Ausnahme. Er hielt den französischen Zoll für „ziemlich überflüssig“, meinte Martin. „Auf unsere Einwände hin antwortete Dr. Gurlitt, er sei Staatsbeamter, er habe den Befehl zu kaufen und könne sich ihm nicht widersetzen, ohne seinen Vorgesetzten den Gehorsam zu verweigern“, so Martin. „Als wir ihm Schwierigkeiten machten und Widerstand leisteten, schien er das zu akzeptieren, doch dann nahm er sich Objekte ohne Genehmigung, oder er trickste die Franzosen aus, indem er die guten Dienste der Botschaft in Anspruch nahm. So transportierte Dr. Gurlitt gegen unseren Willen einige wichtige Gemälde ab.“ (s. Catherine Hickley, Gurlitts Schatz. Hitlers Kunsthändler und sein geheimes Erbe, Wien 2016, S. 102 f.)

Dabei gerieten diejenigen, die in Sachen Sonderauftrag Linz in Frankreich unterwegs waren, häufiger in Konkurrenz zum Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), der in Zusammenarbeit mit der Gestapo in Frankreich und Belgien Kulturgüter im Besitz jüdischer Familien beschlagnahmte und nach Deutschland abtransportierte. Über Reichsmarschall Hermann Göring ist in diesem Zusammenhang bekannt, dass er das vom ERR als Lager verwendete Museum Jeu de Paume nicht weniger als zehnmal persönlich aufgesucht haben soll, um hier geeignete Werke für seinen feudalen Landsitz Carinhall auszusuchen. Auf 875 Bilder soll der hier als neuzeitlicher Gaius Verres sich gebärdende Reichsjägermeister gekommen sein.

In der Gegenwart

Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Ende des letzten Weltkriegs ist man eigentlich versucht anzunehmen, dass diejenigen geraubten Kunstwerke, die nicht in den Kriegswirren zerstört worden sind, inzwischen an die rechtmäßigen Eigentümer rückerstattet worden sind. Doch diese Annahme wäre allzu optimistisch. Denn auch die von 44 Staaten unterzeichnete Washingtoner Erklärung 1998 hat keine endgültige Besserung der Lage im Sinne einer allumfassenden Restitution herstellen können. Gerade die in der Wohnung des 2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt vorgefundenen Kunstwerke und ihre vielfach ungeklärte Provenienz waren und sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Recherchen nach der Herkunft offensiver angehen wollen. Daher hat etwa in Deutschland Anfang 2015 in Magdeburg das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste seine Arbeit aufgenommen. Externe Museumsleute und auch private Sammler können sich nunmehr in der Datenbank http://www.lostart.de über einschlägige Sachverhalte informieren.

Bildnachweis©derblogger

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