Pandemien in der Geschichte: Die Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts

Die aktuell von dem Corona-Virus hervorgerufene Pandemie zieht tagtäglich weitere Kreise und bringt weltweit davon Betroffene sowie die staatlichen Gesundheitssysteme an ihre Belastungsgrenzen, bisweilen darüber hinaus. Die Neuartigkeit des Krankheitserregers und Fragen nach dem richtigen und angemessenen Umgang damit sollten jedoch nicht den Blick auf die historische Tatsache verstellen, dass Epidemien und Pandemien das Leben menschlicher Gemeinschaften schon häufiger gravierend und nachhaltig beeinträchtigt haben.

Da ein Anliegen des Blogs darin besteht, Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufzuzeigen, möchte ich mit diesem Beitrag Informationen und Wissenswertes zur Verfügung stellen, um Merkmale, Auswirkungen und Verbreitung der auch als Schwarzer Tod bekannten Pest, die in der Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa Einzug gehalten hat, besser verstehen zu können.

Die mittelalterliche Pest aus heutiger Sicht

Als vor rund 670 Jahren die durch das Pestbakterium Yersinia Pestis hervorgerufene Beulenpest in Europa grassierte, zu einer Zeit als die Entdeckung der Antibiotika noch in weiter Ferne lag, veränderte sich das Leben der Menschen in den betroffenen Landstrichen grundlegend. In den tief verankerten Glaubensvorstellungen vieler handelte es sich um ein göttliches Strafgericht für begangene Sünden, wer eher weltlich orientiert war, mochte den Verlust altvertrauter Gewissheiten, zu denen ein funktionierendes Sozialgefüge gehörte, betrauern. Weitgehender Konsens besteht heute jedenfalls in der Annahme, dass als Folgewirkung insgesamt etwa ein Drittel der europäischen Gesamtbevölkerung verstarb. Es ist demnach von ungefähr 25 Millionen Opfern auszugehen.

Yersinia Pestis als Krankheitserreger war hingegen lange Zeit nicht unumstritten. Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch entwickelte der aus der bekannten Bankerdynastie stammende englische Insektenkundler Nathaniel Charles Rothschild die anfänglich belächelte Theorie, dass die Pest – ursprünglich eine endemische Erkrankung wild lebender Nagetiere – durch Rattenflöhe auf den Menschen übertragen werde. Wenige Jahre später konnten Arthur Bacot und Charles Martin präzise den Wirtswechsel des das Pestbakterium als Zwischenwirt in sich tragenden Flohs von der Ratte zum Mensch beschreiben und damit Rothschilds Idee bestätigen.

Was dabei vor sich geht, kann wie folgt skizziert werden: Zwei bis sechs Tage nach dem Flohstich kommt es in der Regel zum als Beule sichtbaren starken Anschwellen einer Lymphknotengruppe. Die in diesem Zusammenhang auftretenden dunklen Verfärbungen haben dann ja auch den Begriff Schwarzer Tod geprägt. In der Folge stirbt ein großer Teil der an der Beulenpest Erkrankten an Erschöpfung, inneren Blutungen oder Herzversagen. Daneben ist ebenso die durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragene Lungenpest vielfach in Erscheinung getreten. Um genau diesen Übertragungsweg in der gegenwärtigen globalen COVID-19-Pandemie zu verhindern, wird das Abstandhalten bei Sozialkontakten empfohlen und nahe gelegt.

Das naturwissenschaftliche Wissen über das wir heute verfügen, war den im Spätmittelalter Lebenden vollständig unbekannt. Stattdessen wurde versucht, Ausdünstungen, sogenannte Miasmen, als Ursache zu bestimmen. Dementsprechend versuchte man sich in der Reinigung der Luft durch Schwefel, Kräuter, Kampfer, Aloe und anderer Dinge. Antike Koryphäen wie Hippokrates und Galen dominierten noch immer das Denken und Handeln der heilkundigen Angehörigen medizinischer Berufe. Auf individueller Ebene wurden Patienten gerne zur Ader gelassen, was die bereits geschwächten Körper der Pestkranken dem Sensenmann weiter entgegen trieb. Weitere Therapieformen: Fehlanzeige.

Wir können die große Pest des 14. Jahrhunderts grob auf die Jahre 1346 bis 1353 eingrenzen. Nachdem Europa seit dem Ende der Justinianischen Pest mehr als ein halbes Jahrtausend zuvor von Ausbrüchen in einem solchen Ausmaß verschont geblieben war, sollte speziell diese Seuche nunmehr für mehrere Jahrhunderte schubweise immer wieder auftreten. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich klar ab, dass Sperrfristen für verdächtige Schiffe, woraus später die Idee und Praxis der Quarantäne hervorgehen sollte, in der Mitte des 14. Jahrhunderts noch nicht realisiert worden sind. Massenbestattungen, die Beseitigung von in Städten und Dörfern herumliegender Tierkadaver und die Kennzeichnung von Häusern und Unterkünften Pestkranker hingegen schon.

Wie die Pest nach Europa gekommen ist

Der Ursprung wird in den Steppengebieten Inner- und Zentralasiens, vielleicht kommen auch Turkmenistan oder Afghanistan in Frage, angenommen. Wie Yersinia Pestis im Spätmittelalter von hier aus nach Skandinavien oder auf die Britischen Inseln gelangt sein soll, erscheint auf den ersten Blick fragwürdig, findet seine Erklärung aber in der damaligen Existenz eines einheitlichen von den Mongolen geschaffenen Herrschaftsraumes von imperialen Dimensionen. Mehr als fünf Jahrzehnte bevor der Venezianer Marco Polo dort ankam, hatte Chinghis Khan sogar Beijing, die heutige Haupstadt Chinas, 1215 erobert. Mit Hilfe und Unterstützung der auf Kooperation zielenden Pax Mongolica verstanden es die Mongolen, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und den Handel zu fördern. Im Westen begehrte Luxusgüter wie feine Stoffe (Seide, Brokat, Damast) oder Gewürze (Pfeffer, Muskat) sind neben einem Wissens- und Kenntnistransfer auf der Seidenstraße aus Fernost bis nach Europa gelangt.

Doch eben wohl auch Yersinia Pestis. Der Oxford-Historiker und Asienspezialist Peter Frankopan beschreibt, was dann an einem nördlichen Ableger der Seidenstraße geschah: „Es ist noch nicht geklärt, wo die Seuche Mitte des 14. Jahrhunderts genau ausbrach, sie breitete sich jedoch in den 1340er Jahren zügig über die Steppengebiete nach Europa, in den Iran, den Mittleren Osten, Ägypten und auf die Arabische Halbinsel aus. Ganz massiv schlug sie im Jahr 1346 zu, als, wie ein italienischer Zeitgenosse schrieb, eine „mysteriöse Krankheit, die einen plötzlichen Tod brachte“, sich unter der Goldenen Horde am Schwarzen Meer ausbreitete. Ein mongolisches Heer, das nach einem Streit um Handelsbedingungen den genuesischen Handelsposten Kaffa belagerte, wurde von der Krankheit hinweggerafft. Laut einem Augenzeugen tötete sie täglich „Tausende“. Vor dem Abzug legten die Mongolen jedoch „die Leichen auf Wurfmaschinen und ließen sie in die Stadt Kaffa hineinkatapultieren, damit sie dort alle an der unerträglichen Pest zugrunde gehen sollten“. Dabei war der Pestgestank noch das kleinste Übel, vielmehr breitete sich die hochansteckende Krankheit in der Stadt aus. Unwissentlich hatten die Mongolen biologische Kriegführung eingesetzt, um ihren Gegner zu besiegen.“ (s. Peter Frankopan, Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt, Hamburg 2018, S. 275)

1347 erreichte die Pest Konstantinopel, noch in demselben Jahr die norditalienischen Städte Genua und Venedig, wo eine Galeere im Herbst von einer Handelsreise aus Kaffa zurückgekehrt war. Bereits Mitte 1348 hatte die Pest Bayern und Nordfrankreich erreicht, um sich unaufhaltsam weiter auszubreiten.

 

Weite Teile des heutigen Belgien und Polen sind von ihr verschont geblieben, warum das weiß man nicht.

Als die Pest einige Jahre darauf zu verschwinden begann, hatte sich Europa verändert. Weil die Zahl der Arbeitsfähigen und -willigen so stark zurückgegangen war, hatte Lohnarbeit einen höheren Wert als zuvor bekommen. Die Bedeutung des Individuums war eine andere geworden. In Italien begann die Morgenröte der Renaissance von Ferne zu leuchten.

Zu welchen Schlussfolgerungen man gelangen wird, wenn die gegenwärtige Pandemie vorüber ist, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Dass etliche Wirtschaftsunternehmen ihre Lieferketten straffen und verändern werden, zeichnet sich hingegen ab. Alles weitere werden Dauer, Intensität und Verlauf erweisen.

Bildnachweis©derblogger

 

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