Wirtschaftskrisen im europäischen Mittelalter waren fast immer durch mangelhafte Ernteerträge hervorgerufene Versorgungskrisen. Die Menschen lebten vorwiegend auf dem Lande, die Gesellschaften insgesamt waren agrarisch geprägt. Solange das Wetter mitspielte, funktionierte das auf weitgehende Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln ausgerichtete Modell der Dorfbevölkerungen. Kam es zur durch eine Dürre, eine Überschwemmung oder andere klimatische Extreme verursachten Verknappung war die Not groß. Dann litten viele Hunger, etliche starben. Natürlich blieben Versorgungskrisen nicht auf das Mittelalter beschränkt, sie konnten ebenso in der Neuzeit eine unvorhersehbare, existenzielle Herausforderung und Heimsuchung bilden. Die Aufstände der darbenden schlesischen Weber in den 1840er Jahren und die nahezu zeitparallele große Hungersnot in Irland, die viele sie Überlebende in die USA auswandern ließen, belegen, dass die Fortschritte in der Landwirtschaft selbst in jenen Jahren noch nicht hinreichend genug waren. Das änderte sich erst allmählich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.
Eine demgegenüber vollkommen anders geartete ökonomische Krisensituation, eine überraschend modern anmutende Spekulationskrise im 17. Jahrhundert, deren Höhepunkt das Platzen einer Blase war, ist Thema dieses Beitrags. Bevor die Preise am 7. Februar 1637 rasant einbrachen, erzielte eine Tulpenzwiebel der Sorte mit dem schillernden Namen Admirael van Enchhysen einen historisch verbürgten Verkaufserlös von 5.200 Gulden. Zum Vergleich: Das ist ein Vielfaches des damaligen Jahresarbeitseinkommens eines Zimmermanns, Tuchmachers oder anderweitig handwerklich Tätigen gewesen. Ein respektables, an einer Gracht gelegenes Amsterdamer Stadthaus ließ sich damals für 10.000 Gulden käuflich erwerben. Wie ist dieser irrationale Überschwang, der keinerlei Grundlage zu haben scheint, zu erklären?
Ein neuer Staat entsteht
Die mit dem Wirken Martin Luthers einhergehende Reformation zog ihre Bahnen. Für die deutschen Lande, korrekterweise ist vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zu sprechen, ist mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 und der dort beschlossenen Kompromissformel, dass die Religionszugehörigkeit der Untertanen sich nach derjenigen ihrer Landesherren zu richten habe („cuius regio, eius religio“) nur eine vorübergehende Lösung gefunden worden. Der mit dem Prager Fenstersturz 1618 eingeleitete Dreißigjährige Krieg ließ den alten Konflikt um die Frage nach dem rechten Glauben mit gesteigerter Unversöhnlichkeit wieder aufbrechen. Die gegenreformatorischen Kräfte setzten zum aus ihrer Sicht entscheidenden Gegenschlag an.
Der Nordwesten Kontinentaleuropas befand sich damals unter spanischer Oberhoheit. Doch die sieben nördlichsten Provinzen Friesland, Gelderland, Groningen, Holland, Overijssel, Utrecht und Zeeland lösten sich 1581 mit dem Plakkaat van Verlatinghe vom spanischen Monarchen Philipp II. los und erklärten sich zur auch als Vereinigte Niederlande bekannten Republik der Sieben Vereinigten Provinzen. Derartige Unbotmäßigkeiten mochte man in der klösterlichen Palastanlage des Escorial nahe bei Madrid nicht hinnehmen und aus diesem Grund befand sich das glaubensstrenge katholische Spanien mit den Sieben Vereinigten Provinzen in einem achtzigjährigen Kriegszustand. Dieser endete de iure erst mit dem Westfälischen Frieden 1648, der zudem eine offizielle Anerkennung als souveräner Staat für die in der Mehrzahl in der sittenstrengen Glaubensform des Calvinismus zwischen Nordsee, Niederrhein und Maas ansässige Bevölkerung mit sich brachte. Im Unterschied zu den zumeist die Lehren Luthers befolgenden deutschen Protestanten waren die Anhänger des Genfer Reformators Johannes Calvin von der Gültigkeit der Prädestination überzeugt. Es sei jedem Menschen vorherbestimmt, ob er einmal in den Himmel oder eben in die Hölle kommen würde. Einstweilen würden während des irdischen Daseins die Segnungen mit materiellen Gütern oder das Ausbleiben derselben darauf verweisen, wohin die Reise geht. Da einige der sieben Provinzen das Grundrecht der individuellen Glaubensfreiheit gewährten, was ein besonders hohes Gut in einer von Glaubenskämpfen erschütterten Zeit bedeutete, geriet der Nordwesten des europäischen Festlands zum begehrten Zufluchtsort für aus religiösen Gründen Verfolgte.
Eine kulturelle und wirtschaftliche Blütezeit
Nicht zuletzt die zahlreichen Immigranten machten das an sich ressourcenarme Land zu demjenigen, das den höchsten Urbanisierungsgrad in Europa aufwies, überhaupt am dichtesten besiedelt war. Nicht wenige gelangten durch Überseehandel – insbesondere der von der Niederländischen Ostindien-Kompanie teilweise monopolisierte Südostasienhandel mit exotischen Gewürzen wie Muskat und Pfeffer erwies sich als wahre Goldgrube – zu Wohlstand, so dass sich ein selbstbewusstes Stadtbürgertum herausbilden konnte. Einkommen und Vermögen bestimmten das Ansehen eines Menschen, wohl auch den Wert, jedenfalls ging es nicht mehr wie anderenorts üblich um qua Geburt ererbte Adelsprivilegien einer ständisch organisierten Gesellschaft. Die sich in den Jahren von ungefähr 1575 bis 1675 entfaltende kulturelle und wirtschaftliche Blütezeit wurde daher von manchen Historikern in der Vergangenheit gerne mit dem Begriff goldenes Zeitalter belegt. Die Rolle der damit eng verbundenen Themen Kolonialismus und Sklavenhandel wird heute naturgemäß kritisch gesehen und beurteilt.
Die Malerei hat sich zur wichtigsten künstlerischen Ausdrucksform jenes goldenen Zeitalters entwickelt. Dabei fungierten weder die eher das Thema Kunst in ihren sakralen Räumlichkeiten ablehnenden protestantischen Kirchen noch der Klerus oder der weltliche Adel als Hauptauftragsgeber. Es war das Bürgertum selbst, das sich in Einzel- oder Gruppenporträts dargestellt sehen wollte, um den erreichten gesellschaftlichen Rang zu dokumentieren. Frans Hals war ein ausgesprochener Könner in der Porträtmalerei, während sein Kollege Jacob van Ruisdael in Sachen Landschaftsmalerei spezialisiert war. Wiederum andere fanden ihr ausschließliches künstlerisches Betätigungsfeld in der Kreation von Stillleben, Architekturmalerei oder maritimen Szenerien. Es heißt, dass jährlich bis zu 70.000 Bilder auf den Markt gekommen sind, wo ihre Abnehmer oft genug bereits begierig warteten, sie in Empfang zu nehmen. Die Zentren waren Amsterdam, Haarlem, Utrecht, Den Haag, Deventer, Delft, die Heimatstadt des genialen Jan Vermeer, und Leiden.
Leiden mit seiner 1575 gegründeten Universität ist ein neuartiges geistiges Zentrum der Forschung, Lehre und höheren Bildung mit einer Ausstrahlung weit über die Landesgrenzen hinaus geworden. Der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes („Cogito, ergo sum.“) hat hier für viele Jahre seine Wirkungsstätte gefunden. Auch der wohl bedeutendste Botaniker seiner Zeit, Carolus Clusius, eigentlich Charles de L’Escluse, hatte in Leiden eine Professur inne. Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem die Einrichtung eines botanischen Gartens, des hortus academicus. In einer Arbeit über Spaniens Pflanzenwelt von 1576 hat Clusius erstmals die Tulpe thematisiert, die er später wiederum als erster in früh-, mittel- und spätblühende Blumen zu unterscheiden wusste. Clusius vor allem ist es durch seine Schriften, seine Korrespondenz und den von ihm mit anderen botanischen Aficionados betriebenen Tauschhandel mit Tulpenzwiebeln gelungen, dass speziell diese Blume mit der ihr eigenen Schönheit in wenigen Jahrzehnten immer populärer geworden ist. Rosen, Narzissen, Hyazinthen: sie alle wurden bei weitem von der Tulpe in der Wertschätzung übertroffen. So wie der Diamant alle anderen Edelsteine in den Schatten stellte, nehme die Tulpe unter den Blumen eine überragende Stellung ein, schrieb ein zeitgenössischer Gärtner. Ursprünglich in ihren Wildformen in Zentralasien beheimatet, ist die Tulpe während des 16. Jahrhunderts über den Weg vom Osmanischen Reich nach Europa gelangt, wo sich für das Jahr 1559 nachweislich sagen lässt, die erste ihrer Art hat seinerzeit in einem Augsburger Garten geblüht.
Bald danach hielt die Tulpe ebenso in den niederländischen Gärten Einzug, wobei sich die besondere Vorliebe der botanisch Interessierten nicht auf Sorten mit einheitlicher Farbgebung, sondern auf mehrfarbige oder mit interessant gemusterten Farbbändern durchzogene Züchtungen oder Variationen richtete. Legendären Status erlangte eine Semper Augustus genannte Blume, deren Aussehen von blutfarbenen Flammen, die im Zentrum der Blütenblätter nach oben schossen und von Blütenrändern, die von Flocken und Punkten in derselben kräftigen Farbe geschmückt waren, bestimmt war. Ihre Seltenheit bewirkte, dass man nahezu jeden Preis aufrufen konnte, wie überhaupt die Knappheit an Tulpenzwiebeln das zentrale Problem des in den 1630er Jahren immer weiter ausufernden Tulpenhandels wurde. Die Gewinnspannen, die zu erzielen waren, sprachen sich herum und Leute, die ursprünglich mit Gärtnerei nichts am Hut hatten und vollkommen andere Berufe mit beschränkteren Einkunftsmöglichkeiten ausübten, strömten herbei. Diese sogenannten Floristen interessierten sich allein für die enormen Geldbeträge, die sich mit dem Verkauf seltener Tulpenzwiebeln verdienen ließen.
Die klassische Spekulationskrise
Als wichtigste Quelle zu den Vorgängen und Ereignissen in den Niederlanden der 1630er Jahre gilt nach wie vor die Arbeit des schottischen Schriftstellers und Journalisten Charles Mackay „Memoirs of extraordinary popular delusions and the madness of crowds“ aus dem Jahr 1841, also rund zweihundert Jahre nach dem Tulpenhype. Mackay berichtet davon, dass an den Börsen von Amsterdam, Rotterdam, Haarlem, Leiden, Alkmaar, Hoorn und anderenorts mit Tulpen wie mit Aktien gehandelt wurde. Wo es keine Börsen gab, übernahmen Gaststätten und Kneipen deren Funktion. Hohe Profite wurden erzielt, indem bei fallenden Preisen gekauft und bei steigenden wieder verkauft wurde. Man war allgemein davon überzeugt, dass die Tulpenkonjunktur ewig anhalten und dadurch Armut jeglicher Art aus Holland verschwinden würde. Viele machten die ihnen zur Verfügung stehenden Vermögenswerte, darunter auch Häuser und Landbesitz, zu Geld, um Investitionskapital zu spekulativen Zwecken zur Verfügung zu haben. Andere liehen sich Geld, finanzierten die vorhandenen Begehrlichkeiten und den Drang zu den kleinen und vorerst unscheinbaren Tulpenzwiebeln mithin auf Kredit.
Als im Februar 1637 das Ende des Hype kam, gab es keinen substantiellen äußeren Anlass. Die Klugen und die Vorsichtigen bzw. Ängstlichen fingen eben an zu verkaufen. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen warum. Doch dieses Verhalten wurde von den übrigen Marktakteuren aufmerksam registriert und Panikverkäufe waren die Folge des immer weitere Kreise ziehenden Ausstiegs aus dem floralen Investment, der Mackay zufolge Züge einer Massenhysterie angenommen hat. Die Preise fielen im Ergebnis vollends in den Keller.
Der renommierte Ökonom John Kenneth Galbraith hat den Tulpenschwindel von 1637 in „A short history of financial euphoria“ aus dem Jahr 1990 daher als klassische Spekulationsblase eingeordnet. Stets würde dabei der wirtschaftliche Verstand eingelullt und die Spekulation eine Eigendynamik entfalten, einerlei ob es sich um Gold in Louisiana, Immobilien in Florida oder eben Tulpen in Holland handelte. Am Ende blieben für viele Investoren allein Verbitterung, Beschuldigungen, die Suche nach Sündenböcken und für manche der Ruin als Ergebnis ihrer Gier nach immer mehr übrig.
Doch hat es in der Folge im ganzen Land eine spürbare Depression gegeben, wie Galbraith in Anlehnung an Mackay weiter schlussfolgert? Mindestens für diesen Punkt zeichnet sich jüngst eine Revision der althergebrachten Forschungsmeinung ab. Unter Verweis auf den Mangel bzw. die schlichte Nichtexistenz von statistischem Material bezweifelt die Historikerin Anne Goldgar eine allgemein Wirtschaftskrise als Folgeerscheinung der Tulpenmanie. Goldgar, die selbst mehrere Jahre in niederländischen Archiven mit dem Studium von Urkunden und der Auswertung von Originaldokumenten zugebracht hat, verweist in Tulipmania: Money, Honor and Knowledge in the Dutch Golden Age aus dem Jahr 2007 auch darauf, dass sich für die Spekulationen um die Tulpe keine Käuferkette finden lässt, die länger als fünf ist.
Wie auch immer sich die Lehrmeinungen zukünftig entwickeln werden, unbestritten ist, dass die Zeitgenossen Rembrandts und Jan Vermeers Zeugen des Platzens der ersten Spekulationsblase überhaupt geworden sind!
Bildnachweis©1, 2, 8 unsplash; 3, 4, 5, 6, 7 pixabay;