Am 29. September 2018 wird überall dort, wo Kunst einen Stellenwert hat, an den 500sten Geburtstag des bedeutenden Malers Tintoretto gedacht. Dabei kann mit Bestimmtheit nicht einmal sein Geburtsjahr benannt werden. In diesem Sinne haben mehrere Museen die Feierlichkeiten schon einmal vorverlegt. Sowohl das Wallraf-Richartz-Museum in Köln als auch das Musée du Luxembourg in Paris haben in zwei publikumswirksamen Ausstellungen, die um die 230.000 Besucher für das Frühwerk des Künstlers gewinnen konnten, den Reigen der Festivitäten eröffnet. Wer war der venezianischste aller Maler Venedigs, wie bisweilen behauptet wurde? Seine Heimatstadt, den Ort an dem er 1594 im Alter von 75 Jahren schließlich auch verstorben ist, soll er lediglich einmal wegen einer Fahrt ins nicht besonders weit entfernte Mantua verlassen haben, so will es jedenfalls eine Anekdote über ihn wissen. Doch erzählen wir der Reihe nach.
Venedig im 16. Jahrhundert
Ähnlich wie man in alten Zeiten Ägypten ein Geschenk des Nils wegen der segensreichen Wirkungen für die heimische Landwirtschaft genannt hat, könnte Venedig als ein Geschenk des Mittelmeers bezeichnet werden. Sofern damit nicht eine allzu passive Rollenzuschreibung verbunden wäre, die den Venezianern bei der Entfaltung ihrer zur See vorgetragenen Handelsaktivitäten nicht gerecht würde.
Bereits für das Jahr 828 dürfen wir derartige nach Ägypten ausgerichtete Handlungen annehmen, als kurz vor der Rückreise einiger Kaufleute der einbalsamierte Leib des heiligen Markus in Alexandria unter Zuhilfenahme einer List auf ein venezianisches Schiff heim in die Lagunenstadt verbracht wurde. Diese translatio der Reliquien des Evangelisten brachte der Stadt einen neuen Schutzpatron, womit sein Vorgänger, der heilige Theodorus, wenn nicht vollständig ersetzt, so doch in einen sekundären Status verwiesen werden konnte. Damit verbunden war ein gehöriges Maß an Unbotmäßigkeit, da der byzantinische Kaiser ein Handelsverbot zwischen Sarazenen und Christen verhängt hatte. Genau dagegen verstieß man. Markus und der geflügelte Löwe als sein Begleiter sollten für Venedig geradezu allgegenwärtig werden. Sie sind es noch heute. Auch Tintoretto nahm sich des Themenkreises in mehreren Arbeiten an wie beispielsweise der 1562-1566 entstandenen „Bergung des Leichnams des heiligen Markus“. Das großformatige Ölbild befindet sich heute in der Accademia.
Unbotmäßigkeit und Auflehnung gegen Byzanz, dessen Hegemonieanspruch in den ersten Jahrhunderten des städtischen Seins zu erdulden war, waren weiterhin Grundzüge venezianischer Geschichte. Ihren blutigen Höhepunkt bildeten die um den 4. Kreuzzug kreisenden Ereignisse. Unter dem Doganat Enrico Dandolos kam es 1204 zur Erstürmung und Plünderung der oströmischen Kapitale, deren Bevölkerung konträr zum westlichen Europa seit dem großen Schisma von 1054 dem christlichen Glauben orthodoxer Ausrichtung anhing. Stets war es Venedigs Orientierung in den östlichen Mittelmeerraum in Verbindung mit der Errichtung von Stützpunkten und regelrechten Kolonien, die die Grundlage für auf Handel mit Luxusgütern basierenden ökonomischen Erfolg bildeten.
Kostbare Stoffe wie Seide, Brokat, Damast und Atlas waren begehrte Güter für die venezianische Kaufleute risikoreiche Fahrten in die Levante unternahmen. Grundstoffe für die Parfümherstellung, Edelsteine und feine Gewürze wie Pfeffer, Muskatnuss, Ingwer und Zimt andere in den wachsenden Städten Westeuropas stark nachgefragte Waren. Die Hauptkonkurrenz im Handel stellte dabei Genua dar, mit dem Venedig von der Mitte des 13. Jahrhunderts an vier Kräfte verzehrende Kriege führte. 1381 endlich ging die Serenissima siegreich aus der letzten Auseinandersetzung hervor, so dass damit nahezu eine Monopolstellung im Orienthandel erreicht war. Venedig selbst, das Schätzungen zufolge 1300 eine Einwohnerschaft von 85.000 bis 100.000 Menschen aufwies, die bis zum letzten Viertel des 16. Jahrhunderts auf eine Bevölkerungszahl von 175.000 ansteigen sollte, war indessen zu einem Zwischenlager von enormen Ausmaßen angewachsen. Vom Canal Grande konnten etwa durch einen fünfbogigen Zugang vom Wasser aus (siehe Abb. 2 und 3) die Güter in einen quadratischen Innenhof entladen werden. Beispielhaft zeigt das die nahe am Rialto gelegene Handelsniederlassung des Fondaco dei Tedeschi. Nach einem zerstörerischen Brand ist sie 1509, ein knappes Jahrzehnt vor Tintorettos Geburt, wiederaufgebaut worden. Die Außenwände sind aus diesem Anlass von Giorgione und Tizian freskiert worden.
Freskomalerei sollte ebenfalls für den 1518 als Sohn eines Seidenfärbers unter dem ursprünglichen Namen Jacopo Robusti zur Welt gekommenen Tintoretto ein wichtiges Betätigungsfeld werden. Obwohl Venedig wenige Jahre zuvor in der Schlacht von Agnadello gegen eine Koalition mächtiger Feinde verloren hatte und sich temporär des Festlandbesitzes beraubt sah, war großer Reichtum in der Stadt, die ohne Übertreibung auf dem Höhepunkt von Macht und Bedeutsamkeit angekommen war. In öffentlichen Kunst- und Architekturaufträgen wollte die das Staatsschiff lenkende Führungsschicht des Patriziats das Ansehen der Seerepublik noch gesteigert wissen.
Ob der Künstler als junger Bursche tatsächlich in Tizians Werkstatt gelernt hat und dieser den Tintoretto schon nach ein paar Tagen in einem Akt des Neides wieder hinausgeworfen hat, als er sein Talent erkannt hatte, ist umstritten. Es mag mehr Legende als Wahrheit darin liegen. Brieflich überliefert ist jedenfalls folgende Charakterisierung des Aufstrebenden: „So wie ein Körnchen Pfeffer zehn Sträuße Mohn überdeckt, erschlägt und aufwiegt, genau so und nicht anders seid Ihr, Blutsverwandter der Musen, und haltet für ausgemacht, daß Ihr – obwohl erst seit kurzem im Leben – mit großem Geist ausgestattet seid. Ihr habt einen lichten Bart und dichten Verstand, eine kleine Gestalt und ein großes Herz, seid jung an Jahren und alt an Überlegung, und in der kurzen Zeit, die Ihr Schüler gewesen seid, habt Ihr mehr gelernt denn hundert andere, die als Meister geboren wurden…“ Für die späten 1540er Jahre ist der innnerstädtische Umzug ins Cannaregio-Viertel (siehe Abb. 4 und 5) bezeugt, wo am Rio della Sensa ein lebenslanges Domizil gefunden wurde.
Der Einfall des Sonnenlichts im Wasser, die Reflektion der Wellenbewegungen als bewegtes Schattenspiel auf den Fassaden der Palazzi, die Veränderungen der Grün- und Blautöne in der Lagune selbst: die Qualität in der Farbigkeit ist eines der hervorstechendsten Merkmale in der venezianischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts überhaupt. Das ist natürlich auch bei Tintoretto zu beobachten, der motivisch eine ausgesprochene Vorliebe für mythologische und religiöse Themen besaß.
Mehrfach ist von ihm das letzte Abendmahl künstlerisch bearbeitet worden. Anhand der Version, die Tintoretto um 1593 für die Kirche San Giorgio Maggiore geschaffen hat, möchte ich auf einige Eigentümlichkeiten und Besonderheiten aufmerksam machen, die diese Arbeit von Leonardo da Vincis 1497 für das Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie in Mailand geschaffenen Wandgemälde unterscheiden.
Zur Visualisierung beider Bilder möchte ich auf folgenden Link und weitere Aspekte zum Thema beinhaltenden Artikel verweisen: https://www.deutschlandfunk.de/zum-500-geburtstag-des-malers-jacopo-tintoretto.2540.de.html?dram:article_id=414936
Bei Leonardos Abendmahl ist szenisch der Moment wiedergegeben, in dem Jesus seinen um ihn angeordneten Jüngern gerade eröffnet hat, dass einer von ihnen Verrat begehen wird. Der Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich hat bereits vor Jahren folgende Deutung vorgeschlagen: „Trotz der Aufregung, die die Worte Christi hervorgerufen haben, ist die Gruppe doch nicht chaotisch. Die zwölf Jünger fügen sich ganz natürlich in vier Dreiergruppen, von denen jede mit der anderen durch Bewegungen und Gebärden verbunden ist. Trotz aller Vielfalt ist das Gesamtbild so klar, und bei aller Übersichtlichkeit doch so vielfältig, daß man das harmonische Ineinanderspielen aller Bewegungen nie ausschöpfen kann.“ Harmonie, anatomische Genauigkeit in der naturgetreuen Darstellung der menschlichen Körper und zentralperspektivische Konstruktion des Bildraumes verweisen in die Hochrenaissance.
Tintorettos Abendmahl, das farblich von düsteren Brauntönen bestimmt wird, wirkt dagegen überhaupt nicht harmonisch. Unklare Lichtverhältnisse, ein schräg in den Raum gestellter Abendmahlstisch, teilweise gestikulierende und verdrehte Gestalten lösen die Ordnung zugunsten eines dramatischen Geschehens auf. Das Ideal der Hochrenaissance ist längst in den Wirren der bewegten Zeiten verloren gegangen. Möglicherweise ist die Interpretation, dass in der bildlichen Unordnung die durch Reformation und gegenreformatorische Bestrebungen aufgelöste Einheit im Glauben hier ihren passenden Ausdruck gefunden hat, die zutreffende Erklärung.
Paolo Veronese, ein Konkurrent und Zeitgenosse Tintorettos, jedenfalls musste vor dem Inquisitionsgericht in Venedig erscheinen. Der Anlass dazu war ebenfalls eine malerische Abendmahlsdarstellung. Die Glaubenswächter der Inquisition sahen von einigen das Bild bevölkernden Betrunkenen eine ernsthafte Gefahr ausgehen. Der Hinweis auf einen heiligen und profanen Bildraum genügte nicht, es musste umbenannt werden. Die Ergebnisse des Konzils von Trient begannen ihre Wirkung zu entfalten.
Wer jetzt oder später Zeit, Gelegenheit und Muße hat Venedig aufzusuchen, um sich auf Tintorettos Spuren zu begeben, sollte die Kirchen San Giorgio Maggiore und Madonna dell´Orto nicht verpassen. Ebenfalls einen Besuch wert sind die Scuola Grande di San Marco, die Scuola Grande di San Rocco und natürlich der Dogenpalast.
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