Maler, Motive und Museen oder wie aus „Entarteter Kunst“ Raubkunst wurde (1. Teil)

Hört man heute die Namen von Otto Dix, Max Beckmann, Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner, Max Ernst, Oskar Kokoschka oder Wassily Kandinsky denkt man zuerst an berühmte Maler. Diese Aufzählung kann mit einigem Recht durch George Grosz, zu Zeiten der Weimarer Republik in eine Vielzahl von Gerichtsprozessen wegen in seinen Bildern vermeintlich enthaltener Gesellschaftskritik verwickelt, ergänzt werden. Nimmt man Paula Modersohn-Becker, Käthe Kollwitz, Lyonel Feininger und Piet Mondrian hinzu, könnte man daran denken, es handele sich hier um eine Liste bedeutender Malerinnen und Maler, denen die Kunstgeschichtsschreibung für das späte 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eine besondere Referenz erweisen möchte. Kaum jemand käme wohl auf die Idee, die Richtigkeit dieser Aussage in Zweifel ziehen zu wollen. Und doch gab es eine Zeit, in der das Schaffen der hier genannten Künstlerinnen und Künstler verfemt, ihre Kunst als entartet verworfen wurde.

Die Rede ist natürlich von der Zeit des Nationalsozialismus. In der Bildhauerei wurde das Können eines Ernst Barlach oder Wilhelm Lehmbruck verachtet und dem Heroismus eines Arno Breker oder Josef Thorak gehuldigt. Ein negativer Kommentar zur zeitgenössischen Architektur bestand in der Schließung des innovativen, von Walter Gropius gegründeten Bauhauses im Juli 1933, der Geißelung der dortselbst entstandenen Idee vom Flachdach als „undeutsch“ und dem Lobpreis des germanischen Giebeldaches. Der sich allmählich abzeichnende staatstragende Kunst- und Kulturgedanke war jedoch nicht nur auf das Deutsche Reich beschränkt, es gab durchaus so etwas wie einen diesbezüglichen missionarischen Eifer. Als Frankreich im Sommer 1940 von der Wehrmacht besetzt war, durften Georges Braque, Salvador Dali, Henri Matisse, Claude Monet, Edouard Manet, Paul Cézanne und Paul Gauguin öffentlich nicht mehr ausgestellt werden. Die Begründung bestand wiederum darin, dass es sich bei den Werken dieser Künstler um entartete Kunst (engl. degenerate art) handeln würde. Davon betroffen war auch der seinerzeit in Paris lebende und arbeitende, in Malaga gebürtige Andalusier, Pablo Picasso.

Die Nationalsozialisten und ihr Führer, der sich viel auf sein Kunstverständnis und seine diesbezügliche Expertise zugute hielt, wertschätzten für das 19. Jahrhundert vor allem die Kunst der Romantik. Ihr galt höchste Anerkennung. Danach jedoch war im wesentlichen zu einem Ende gelangt, was als Akzeptanz bezeichnet werden kann. In der dann nachfolgenden Kunst der Moderne (Impressionismus, Expressionismus, Fauvismus, Kubismus, Dadaismus, Surrealismus, Konstruktivismus, Futurismus, Neuer Sachlichkeit und Abstrakter Kunst) wollten die Nationalsozialisten Erscheinungsformen rassischer Degeneration erkennen und befürchteten negative Einflüsse auf die Besucher von Kunstausstellungen, wenn ihnen solche „Verfallskunst“ zugemutet würde. Darüber hinaus waren ihnen Bildinhalte, die von Pazifismus zeugten, denkbar unangenehm, da sie den gehegten imperialistischen Wunschträumen, deren Ziel in der Schaffung von Lebensraum nach zuvor erfolgreichen Eroberungsfeldzügen bestand, zuwider liefen.

Führerrede in München

In seiner Rede zur Eröffnung der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Münchener Haus der Kunst hat Adolf Hitler selbst 1937 verdeutlicht, was er von der modernen Kunst hielt: „Denn in diesem Wort „modern“ liegt naturgemäß die Vernichtung all jener, die diesen Unsinn nicht mitmachen wollen, begründet. Und so, wie man leider heute die Kleider nicht beurteilt nach ihrer Schönheit, sondern nur nach ihrer Modernität und somit nicht nach ihrem eigentlichen Schönheitswert, so werden denn auch alte Meister einfach abgelegt, weil es nicht mehr modern war, sie zu tragen, beziehungsweise von ihnen zu kaufen.“ Nach dem Schönheitswert wird kurz darauf der Ewigkeitswert deutscher Kunst thematisiert: „Ich möchte daher an dieser Stelle heute folgende Feststellung treffen: Bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus hat es in Deutschland eine sogenannte „moderne“ Kunst gegeben, d. h. also, wie es schon im Wesen dieses Wortes liegt, fast jedes Jahr eine andere. Das nationalsozialistische Deutschland aber will wieder eine „deutsche Kunst“, und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein. Entbehrt sie aber eines solchen Ewigkeitswertes für unser Volk, dann ist sie auch heute ohne höheren Wert.“  Was nicht darunter fällt, wird kurz darauf präzisiert. „Kubismus, Dadaismus, Futurismus, Impressionismus usw. haben mit unserem deutschen Volke nichts zu tun.“

Impressionismus, Expressionismus

Nach allgemeiner Auffassung in der heutigen Kunsthistorie ist es die Stilrichtung des Impressionismus gewesen, mit der in der Malerei der frühen 1860er Jahre die Moderne Einzug gehalten hat. Schon gleich zu Beginn ihrer schöpferischen Tätigkeit im Ursprungsland Frankreich wurden die Impressionisten von den offiziellen Pariser Kunstausstellungen verbannt, so dass sich die Zurückgewiesenen 1863 im „Salon des Refusés“ versammeln mussten. Unverständnis und Ablehnung, wie sie die Nationalsozialisten äußerten, hatte mithin eine siebzigjährige Tradition, da schon die zeitgenössischen Besucher des „Salons“ vorzugsweise beißenden Spott und ätzende Kritik für die „Kunst des Eindrucks“ übrig hatten. Spott und Kritik entzündeten sich hauptsächlich am Bruch mit der lange eingeübten akademischen Tradition, nach der die Konturen von Personen und/oder Gegenständen mit zeichnerischen Umrisslinien erfasst  wurden. Doch was erlaubten sich Claude Monet, Edouard Manet, Camille Pissarro und Kollegen? Sie erdreisteten sich, einfach Farbtupfer an Farbtupfer zu setzen und somit die Konturen verschwimmen zu lassen.

Was als scheinbar fehlendes Können daher kam, war indessen eine absichtsvolle Auseinandersetzung mit den optischen Erkenntnissen des Hermann von Helmholtz und anderer. Helmholtz veränderte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich den althergebrachten Wahrnehmungsbegriff, indem er auf der Grundlage von Erkennntissen auf dem physikalischen Gebiet der Optik das Vorhandensein fester Anschauungsformen ablehnte. Zusätzlich stellte er dar, welche Rolle der unbewusste Schluss für die Wahrnehmung mit sich brachte. Daher also kam der impressionistische Leitgedanke von der Unbestimmtheit oder Verschwommenheit der äußeren Form. Sie war, je nach Tageslicht und Sonnenstand veränderlich. Nur durch frischen Farbauftrag von der Palette direkt auf die Leinwand war der Wirklichkeit der Natur unter freiem Himmel nahe zu kommen. Ohne diese Ideen wäre ein Meisterwerk der Farbenfreude wie Auguste Renoirs „Tanz im Moulin de la Galette“ aus dem Jahr 1876 niemals entstanden. Dass es 1990 für 78,1 Millionen Dollar bei Sotheby’s den Zuschlag erhielt, zeigt eindrucksvoll und nachdrücklich, dass das nationalsozialistische Diktat des Kunstgeschmacks am Ende des Tages keinerlei Substanz enthielt.

Die Zuschreibung charakteristischer Kunststile an bestimmte, eindeutig festlegbare Länder indes wirft, sofern sie überhaupt sachlich gerechtfertigt durchgeführt werden kann, mindestens die Frage nach der Gleichzeitigkeit der Zeitstellung, der Chronologie, dieses oder jenes Werkes auf. Wenn zum Beispiel von Renaissancekunst gesprochen wird, so befinden sich viele Besucherinnen und Besucher von Florenz oder Venedig in dem Irrtum, es handele sich dabei um ein ausschließlich italienspezifisches Phänomen. Dem ist mitnichten so! Ohne die Phaseneinteilung in Proto-, Früh-, Hoch- und Spätrenaissance durchlaufen zu haben, ist die Kunst der Renaissance nämlich mit etlichen Jahrzehnten Verzögerung selbst in England und Schottland heimisch geworden (engl. northern renaissance).

Was für die Frühe Neuzeit Gültigkeit hat, gilt aufgrund veränderter, schnellerer Kommunikationskanäle und Handelswege um so mehr für die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Dennoch ist es selbst bei Berücksichtigung aller Einschränkungen nicht falsch, wenn der Futurismus in Italien, der Kubismus in Frankreich und der Expressionismus in Deutschland ursprünglich lokalisiert wird. Der Expressionismus als „Ausdruckskunst“ ist nicht auf Malerei und Bildhauerei beschränkt geblieben, sondern hat weite Teile der kulturellen Landschaft erfasst. Architektur und Literatur durchliefen ihre expressionistische Phase ebenso wie der Film, der in den späten 1920er Jahren den Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm erlebte. Gerade der Film, und hier die Werke des bereits 1934 das US-amerikanische Exil notgedrungen aufsuchenden meisterhaften Regisseurs Fritz Lang, reflektiert eindringlich die Themenlandschaft expressionistischen Kunstwollens. In „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922) und „Metropolis“ (1927) entwirft Lang einerseits das Bild einer chaotischen und fiebrigen Großstadt, in der ein allmächtiger Verbrecher wie Mabuse sein Unwesen treiben kann, andererseits in „Metropolis“ das Individuum immer mehr auf dem Weg ist, Sklave einer sich verselbständigenden Technisierung zu werden. Wie ich finde, ein erstaunlich weitsichtiger Gedanke!

Für den Expressionismus in der Malerei, für den als künstlerische Wegbereiter Paul Gauguin und Vincent van Gogh namhaft gemacht werden können, sollten Eigenschaften wie ein oftmals feststellbarer Verzicht auf perspektivische Darstellung und holzschnittartig und flächig in Szene gesetzte Motive in farbenprächtiger Manier kennzeichnend sein. Künstlervereinigungen wie der „Blaue Reiter“ oder die „Brücke“ haben ein Stück des Weges in die Abstraktion beschritten, ohne die Gegenständlichkeit in ihrer Kunst schon aufgegeben zu haben.

Doppelausstellung

Am 18. Juli 1937 war es soweit, dass die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ in München im gleichzeitig eröffneten „Haus der Deutschen Kunst“, errichtet nach Plänen des inzwischen verstorbenen Architekten Paul Ludwig Troost, mit einer programmatischen Rede des Reichskanzlers für den Publikumsverkehr freigegeben wurde. Einige Passagen aus Hitlers Rede und die sich in ihnen ausdrückende Einstellung zur „modernen Kunst“ wurden weiter oben zitiert und konsequenterweise war sie in dieser Ausstellung, die als Verkaufsausstellung mit 12.550 Exponaten konzipiert war, nicht zu sehen. Dagegen bevölkerte der arische Menschentyp in heldischer Pose gerne und oft die gezeigten Werke der Malerei, Graphik und Bildhauerei. Ästhetische und künstlerische Qualität der dem traditionellen Naturalismus verhafteten Darbietungen ließen die internationale Kunstkritik – auch nach dem II. Weltkrieg – noch am ehesten den Mantel des Schweigens darüber decken.

Nur einen Tag später eröffnete in den Hofgartenarkaden des Münchener Archäologischen Instituts die Ausstellung „Entartete Kunst“. Der Begriff an sich ist auf einen der führenden Wegbereiter der nationalsozialistischen Kulturideologie, den Architekten und Kunstkritiker Paul Schultze-Naumburg, zurückzuführen. In seiner Veröffentlichung aus dem Jahr 1928 „Kunst und Rasse“ hatte er Photographien körperlich und geistig Behinderter mit expressionistischen Werken verglichen. Die am 19. Juli 1937 beginnende und bis in den November desselben Jahres in München zu sehende Bilderschau war danach in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Leipzig, Halle, Stettin, Wien und Salzburg bis ins Jahr 1941 hinein zu Gast. Was durften die Besucherinnen und Besucher erwarten, denen gegenüber ein Plakat mit den Überschriften „Gequälte Leinwand – Seelische Verwesung – Krankhafte Phantasten – Geisteskranke Nichtskönner“  als Einladung diente? Schief hängende und dicht an dicht gedrängte Bilder, die die Künstler und ihre Kunst im möglichst ungünstigsten Licht erscheinen lassen sollten. Preise, die Museen für deren Ankauf gezahlt hatten, waren beigefügt, um das gesunde Volksempfinden in Empörung zu versetzen. Damit überhaupt 650 Exponate gezeigt werden konnten, war eine staatliche gesetzgeberische Maßnahme notwendig geworden. Es war jener berüchtigte ministerielle Erlass vom 30. Juni 1937, der den Reichskunstkammerpräsidenten dazu ermächtigte, die im deutschen Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke der deutschen Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiet der Malerei und der Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen. Die Museen, die daraufhin von Adolf Ziegler und seiner Entourage heimgesucht wurden, waren somit nicht nur im Begriff ihre Autonomie einzubüßen, sondern hatten die dafür ausgewählten Werke unverzüglich nach München an die Ausstellung „Entartete Kunst“ zu überstellen.

Ein wesentlicher Meilenstein war mit der Beschlagnahmeaktion gesetzt. Über 20.000 als „entartet“ eingestufte Kunstwerke sind davon insgesamt betroffen gewesen. An der Rechtmäßigkeit zu zweifeln, war selbst nach dem Krieg schwierig, da es sich um Eigentum der „Öffentlichen Hand“ gehandelt hat. Nur bei Leihgaben und Überlassungen an Museen aus Privatbesitz kam allenfalls dann eine Restitution in Betracht, wenn Verjährungsfristen nicht im Weg standen.

Im zweiten Teil dieses Beitrags, der bald in diesem Blog veröffentlicht wird, werde ich darüber schreiben, wie das Thema der Raubkunst im Dritten Reich seine Fortsetzung fand.

Bildnachweis©derblogger

 

 

 

 

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