Sizilianischer Sommer – Tage der Entscheidung

Flugzeuge jagen durch die mondhelle Nacht. Diejenigen, die sich an Bord befinden, sind keine gewöhnlichen Passagiere. Vor 75 Jahren in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1943 befinden sich amerikanische und britische Fallschirmjäger auf gefährlicher Mission. Unter sich das schwarz glänzende Mittelmeer sind sie bereit, wichtige Schlüsselstellungen zu besetzen, um so die Landung der Alliierten auf Sizilien zu ermöglichen. Die dringend benötigte zweite Front in Europa soll damit errichtet und die in der Weite des russischen Raumes agierende Rote Armee wirkungsvoll entlastet werden. Doch warum Sizilien? 

Nordafrika

Vorausgegangen sind innerhalb des Geschehens des II. Weltkriegs diejenigen militärischen Aktionen und Handlungen, die mit dem Begriff „Wüstenkrieg“ versehen worden sind. Italien unter seinem Diktator Benito Mussolini war an einer Erneuerung des Glanzes, den das Imperium Romanum einst innehatte, sehr interessiert und wollte demgemäß die Kolonialgebiete, die es in Afrika schon besaß, Libyen und das dem heutigen Äthiopien entsprechende Abessinien, durch Ägypten, das missing link, verbinden. Doch über das Königreich Ägypten, die Pyramiden von Gizeh und – wichtiger noch – den Suez-Kanal wachte mit Argusaugen das britische Empire. Italien, das am 10. Juni 1940 den Krieg erklärt hatte, rückte im September desselben Jahres mit zahlenmäßig den Briten weit überlegenen Kräften von Libyen aus nach Ägypten vor, wurde aber zurückgeschlagen. Mehr noch, die Briten ihrerseits gingen in die westwärts gerichtete Offensive, konnten dabei die wichtige am Mittelmeer gelegene Festungsstadt Tobruk erobern und ernsthafte Befürchtungen und Sorgen beim mit dem Deutschen Reich in der Achse verbündeten Italien bezüglich des nordafrikanischen kolonialen Status griffen immer mehr um sich.

Um weiteren Prestige- und Gesichtsverlust in Grenzen zu halten, wurde ein deutsches Expeditionskorps zur Unterstützung nach Libyen entsandt. Es sollte die Keimzelle des späteren Deutschen Afrikakorps (DAK) bilden. Den Oberbefehl hatte der seinerzeit noch im militärischen Rang eines Generalleutnants befindliche Erwin Rommel inne. Der britische Premierminister Churchill hat ihn mit den Worten, „Doch jetzt tauchte eine neue Gestalt auf der Bühne des Weltgeschehens auf – ein deutscher Soldatenführer, der seinen Platz in der Kriegsgeschichte behaupten wird“, charakterisiert (vgl. Winston S. Churchill, Der Zweite Weltkrieg, Frankfurt am Main 2003, S. 484). Ob man sich Churchills Panegyrikus anschließen mag oder auch nicht, Rommel hatte den von schnellen Panzerspitzen getragenen neuartigen Bewegungskrieg in der Fläche jedenfalls verstanden.

So ging es wieder nach Osten bis El-Alamein, als im Spätjahr 1942 die personell und materiell überlegene 8. britische Armee unter dem Kommando von Bernard Montgomery der Offensive ein verlustreiches Ende bereitete. Im Nachhinein, aus heutiger Sicht, ist klar erkennbar, dass El-Alamein wie wenig später zu Beginn des Jahres 1943 das Ende der Schlacht von Stalingrad entscheidende Wendepunkte im damaligen Kriegsgeschehen markiert haben.

Mittlerweile drohte den deutsch-italienischen Verbündeten in Nordafrika Ungemach auch aus dem Westen. Die im Rahmen der Operation Torch in Algerien und Marokko unter dem Oberbefehl von General Eisenhower gelandeten alliierten Truppen verschärften nunmehr die aufgrund unzureichender Versorgung mit Treibstoff und sonstigem Kriegsgerät immer unhaltbarerwerdende Lage. Operation Torch fand dabei auf kolonialem Besitz des eigentlich mit dem Deutschen Reich kollaborierenden Regime von Vichy-Frankreich statt.

Konferenz von Casablanca

Insofern ist verständlich, dass es vor Ort im marokkanischen Casablanca vom 14. bis zum 24. Januar 1943 zu einer überaus bedeutungsvollen Konferenz gekommen ist, auf der US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston S. Churchill mit ihren wichtigsten militärischen Beratern über das weitere Vorgehen  Einverständnis zu erzielen hofften. Der zu diesem geheimen Treffen, von dem die Öffentlichkeit nichts erfahren durfte, ebenfalls geladene russische Diktator Stalin, lehnte mit der Begründung ab, dass seine Anwesenheit wegen der Situation in Stalingrad nicht zu realisieren sei.

Unterschiedliche Auffassungen, was das weitere militärische Vorgehen betraf, sollten aufeinanderprallen. Sie finden ihre Verkörperung in den Persönlichkeiten der Generalstabschefs der beiden beteiligten Nationen. Der US-Amerikaner George C. Marshall wollte noch im Jahr 1943 die Landung an der französischen Atlantikküste wagen, um endlich der Sowjetunion die dringend benötigte Unterstützung durch die Eröffnung einer zweiten europäischen Front zu geben. Sein britischer Counterpart Alan Brooke hielt die dafür benötigten Kräfte und Ressourcen für immer noch nicht ausreichend genug. Das Scheitern des kanadisch-britischen Landeunternehmens im nordfranzösischen Dieppe im August 1942 schwebte ihm vor Augen wie die vermutete Stärke des Atlantikwalls. Daher favorisierte Alan Brooke eine amphibische Operation im Mittelmeerraum. Man einigte sich schließlich auf Sizilien, um derart den italienischen Bündnispartner entscheidend zu schwächen.

In der abschließenden Pressekonferenz am 24. Januar 1943 wurde dann die Formel von der bedingungslosen Kapitulation (unconditional surrender) verbreitet, die als Voraussetzung erst das Kriegsende für die Achsenmächte bedeuten würde. Zu diesem Zeitpunkt allerdings war nicht einmal der Krieg in Nordafrika beendet. Bis zur Kapitulation der Reste des Afrikakorps bei Tunis sollte es noch bis zum 13. Mai 1943 dauern. Da eine rechtzeitige Evakuierung verabsäumt wurde, gerieten annähernd eine Viertelmillion italienische und deutsche Soldaten in Kriegsgefangenschaft. Das sind mehr als doppelt so viele wie bei Stalingrad, womit die Bedeutung der weniger im allgemeinen Bewusstsein verankerten Niederlage sichtbar wird.

Operation Husky

Um das wahre Ziel der nächsten alliierten Offensivbemühungen, Sizilien, genügend zu verschleiern, griff man zu einer ganzen Palette von Täuschungsmanövern. Eines, welches unter dem Codewort Operation Mincemeat durchgeführt wurde, sollte suggerieren, dass sich die kommenden Angriffsziele auf dem griechischen Peloponnes und der Insel Sardinien befänden. Dazu bediente man sich makabrerweise einer mit gefälschten Dokumenten versehenen Leiche, die an der spanischen Mittelmeerküste scheinbar zufällig an den Strand gespült wurde.

Die von libyschen Häfen wie Tripolis oder tunesischen Häfen wie Sousse oder Bizerta auslaufende Invasionsflotte von mehr als 3000 Seefahrzeugen hatte die Kapazität, um innerhalb der ersten 48 Stunden der Landeoperation 80.000 Soldaten, 7.000 Fahrzeuge, 900 Geschütze, 600 Panzer und 300 Lastwagen an Land zu bringen. Auf die vorbereitenden Luftlandeunternehmen ist eingangs hingewiesen worden. Ihre Ziele waren etwa für den weiteren Vormarsch wichtige Brücken, die es zu besetzen galt, um eine Passage zu ermöglichen.

Sizilien, seine Bewohner und seine uralte Kulturlandschaft sollten also von der Diktatur befreit werden. Schon seit griechischer Zeit gedeihen hier in den trockenen, heißen Sommern und milden, feuchten Wintern Weinreben und Olivenbäume, die Römer brachten den Weizen, Zitrusfrüchte und Mandelbäume machten die Araber hier heimisch, während die Spanier dann Tomaten, Paprika und Auberginen anpflanzen sollten. Den Neuankömmlingen außersizilianischer Provenienz – der guten Ordnung halber sind Phönizier, Normannen und Staufer hinzuzählen – ging es jedoch nicht vorrangig um die Verheißungen einer durch die fruchtbaren Vulkanböden des Ätna gesegneten Vegetation. Stets hatten sie die strategisch bedeutsame Lage der Insel im Blick, schließlich ist das durch die Straße von Messina getrennte festländische Italien nur 3 Kilometer weit weg und Tunesien liegt weniger als 150 Kilometer entfernt. Im Südosten des sprichwörtlichen Landes, wo die Zitronen blühen, unterhalb Syrakus gingen nun im Juli 1943 britisch-kanadische Truppen unter Montgomerys Kommando an Land, während westlich von ihnen die 7. US-Armee unter dem örtlichen Oberbefehl von General Patton im Bereich Licata und Gela die Strände okkupierte.

Ob sie wohl Kenntnis davon hatten, dass gerade in Gela und Syrakus im fünften vorchristlichen Jahrhundert die Tyrannen Gelon und Hieron die Form von Alleinherrschaft ausübten, für die Hitler und Mussolini in der zeitgenössischen Gegenwart standen?

Die Kampfhandlungen der Operation Husky dauerten insgesamt 38 Tage und zogen sich somit bis zum 17. August 1943 hin. Als dann das Ziel Messina erreicht wurde, hatten sich die auf der Insel zuletzt verbliebenen militärischen Kräfte der Achse im Unternehmen Lehrgang auf das Festland abgesetzt.

Drei Tage vorher ist Rom zur „offenen Stadt“ erklärt worden, nachdem der Diktator Benito Mussolini bereits am 24. Juli 1943 gestürzt worden ist. An seiner Stelle ist Marschall Badoglio zum neuen Ministerpräsidenten ernannt worden. Der Anfang vom Ende des immer noch bestehenden deutsch-italienischen Bündnisses war damit eingeläutet.

 

 

   

 

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