Architektur der Spätantike

Gibbons langer Schatten

Noch immer wirken Edward Gibbons Thesen bis in die Gegenwart nach und beeinflussen unsere Vorstellungen davon, wie wir die römischen Kaiser mitsamt dem von ihnen organisierten und verwalteten Imperium wahrnehmen. Da dessen flächenmäßig größte Ausdehnung unter dem von 98 bis 117 regierenden Trajan erreicht wurde, scheint es ja auch durchaus naheliegend zu sein für danach liegende Zeiträume mit Begriffen wie „Verfall“ oder „Niedergang“ zu operieren. Dementsprechend hat der britische Historiker Edward Gibbon sein überaus einflussreiches, in sechs Bänden zwischen 1776 und 1789 erschienenes opus magnum „History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ betitelt. In der Einleitung können wir lesen: „Es ist für dieses und die folgenden zwei Kapitel geplant, die glückhaften Umstände des Reiches darzulegen; und anschließend, vom Tode des Marcus Antoninus an, die wesentlichen Bedingungen für seinen Zerfall und Untergang: jener Umwälzung, die immer im Gedächtnis den Nationen dieser Erde bleiben wird und dessen Einfluss sie noch heute spüren.“  Selbst Hollywood bekam diesen Einfluss zu verspüren. Als sich im Jahr 1964 der renommierte Regisseur Anthony Mann daran machte, einen farbenprächtigen monumentalen Historienfilm „The Fall of the Roman Empire“ zu realisieren, standen der bei Gibbon (s. o.) als Marcus Antoninus – besser bekannt als Marc Aurel – Hervorgehobene und sein charakterlich ungeeigneter Sohn, der ab 180 als Nachfolger regierende Commodus, im Mittelpunkt des dramatischen Geschehens.

In der „History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ wird neben germanischem Expansionsdrang in wirtschaftlich prosperierende Regionen außerhalb der Ursprungsheimat, einer in der stadtrömischen Oberschicht immer mehr um sich greifenden Dekadenz vor allem dem aufstrebenden Christentum, das vermeintlich zu viele Kräfte und Mittel gebunden hätte, die anderenorts dann fehlten, eine tragende Rolle im eindringlich bei Gibbon beschworenen Untergangsszenario zugewiesen.

In einer weiteren maßgeblichen Arbeit zum Thema, in sechs Bänden von 1895 bis 1920 vom deutschen Althistoriker Otto Seeck unter dem Titel „Geschichte des Untergangs der antiken Welt“ publiziert, kommt der Autor in puncto Ursachenforschung zu einem gänzlich anderen Ergebnis als Gibbon. Seeck zufolge war es eine geradezu negative Auslese durch die immerfort die tüchtigsten und zur Führung am besten geeigneten Römer in gnadenlosen Konkurrenzkämpfen auf der Strecke geblieben sind. Bis nur noch eine Menschenschlag übrig gewesen sei, dem es dann an allen erforderlichen Qualitäten zur wirkungsvollen Aufrechterhaltung imperialer Ambitionen gemangelt hätte. Diese zu Lebzeiten Seecks von allgegenwärtigen sozialdarwinistischen Anschauungen getragene Sichtweise können wir heute naturgemäß kaum noch ernsthaft gutheißen bzw. nachvollziehen. Mit mehr Wohlwollen wird hingegen der von Seeck ins Feld geführte zeitliche Ansatz betrachtet. Nicht mehr die hohe Kaiserzeit des Commodus wie bei Gibbon, sondern die Spätantike Constantin des Großen – Alleinherrscher im Westen seit dem Sieg über den Widersacher Maxentius an der Milvischen Brücke 312 – bildet den Ausgangspunkt des Untergangsszenarios. Eine Verschiebung um immerhin 130 Jahre.

So ganz in der Tradition der beiden bereits angeführten Autoren scheint dann das Werk „Der Niedergang Roms“ des schwäbischen Altertumswissenschaftlers Joseph Vogt aus dem Jahr 1965 zu stehen. Wenn nur nicht der Untertitel „Metamorphose der antiken Kultur“ einen zusätzlichen Aspekt ins Spiel bringen  würde: Dass es zu einer Verwandlung, einer Umwandlung des bisher Bestehenden gekommen ist.

Um es treffend auf den Punkt zu bringen: Nachdem für die Dauer von zweihundert Jahren die römische Spätantike vor allem unter den Gesichtspunkten von Dekadenz und Untergang, von einer regelrechten Verfallszeit ist oftmals die Rede, analysiert und beschrieben worden war, erleben wir in den letzten fünfzig, sechzig Jahren – insbesondere durch die Forschungsarbeit des Iren Peter Brown – einen nachhaltigen Wechsel der Anschauungen. „Metamorphose“  und „Transformation“ sind vielleicht die passendsten Begriffe, mit denen sich die zeittypischen Prozesse der kulturellen und religiösen Veränderungen wie der Kontinuitäten zutreffend knapp zusammenfassen lassen.

Damit soll keineswegs die vorhandene Wirkmächtigkeit des Faktischen geleugnet werden. Das wäre unredlich. Doch inmitten von durch die Völkerwanderung ab 375 ausgelösten gewaltigen Zerstörungen und ökonomischen Beeinträchtigungen, inmitten der von Alarich und seinen Westgoten 410 durch die vorübergehende Besetzung Roms verursachten Schockzuständen bei der innerhalb der Aurelianischen Stadtmauer verbliebenen Bevölkerung, lässt sich andererseits eine bemerkenswerte Vitalität in dieser Epoche feststellen.

Inwiefern die Architektur der Spätantike diese Vitalität widerspiegelt, davon soll nachfolgend die Rede sein.

Architektur in der Spätantike

a.) Thermen

Römische Kultur war Stadtkultur. Der bedeutende Althistoriker Michael Rostovtzeff hat diesen Befund schon vor längerem in „Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich“ dargelegt: „Mochten die Städte groß oder klein sein, reich und luxuriös oder arm und bescheiden, allen war es gemeinsam, dass sie sich bis zum äußersten bemühten, das städtische Leben so angenehm und komfortabel wie möglich zu gestalten. (…) Das schöne Rom, die riesige Weltstadt, wurde natürlich unter allen Städten des Reiches am meisten bewundert und umschmeichelt. Und es verdient die Bewunderung der Zeitgenossen ebenso wie die unsere vollkommen: so schön ist Rom noch in seinen Ruinen, so eindrucksvoll sind seine öffentlichen Bauten – die Tempel, die Kaiserpaläste, die kaiserlichen „Gärten“ in der Stadt und die suburbanen Villen, die Prachtbauten für das Volk (Bäder, Basiliken, Säulenhallen) und die öffentlichen Plätze und Gärten. Mit Rom wetteiferten die Hauptstädte der reichsten und blühendsten Provinzen: Alexandria in Ägypten, Antiochia in Syrien, Ephesos in Kleinasien, Karthago in Afrika und Lyon in Gallien.“

Wir haben Kenntnis davon, dass zur Zeit der Eroberung durch Alarich 410 (s. o.) 11 Aquädukte aus dem Umland mehr als 1200 Brunnen, 11 große kaiserliche Thermen und hunderte weitere öffentliche, von Privatleuten aus Prestigegründen gestiftete Bäder allein in Rom mit hinreichend Wasser versorgt haben.

Baths_Diocletian-Lanciani

1. Grundrissplan der Diokletiansthermen in Rom mit einer Seitenlänge von 376 m x 361 m. Legende: 1 Caldarium (=Warmbaderaum), 2 Tepidarium (=mäßig warmer Raum), 3 Frigidarium (=Kaltbaderaum), 4 Natatio (=Schwimmbecken), 5 Palästra (=Sporthalle), 6 Eingangsbereich, 7 Exedra (=halbkreisförmiger Ausbau).

Maquette_des_thermes_de_Dioclétien_(musée_de_la_civilisation_romaine,_Rome)_(5911812792)

2. Rekonstruktion der Diokletiansthermen im Museo della Civiltà Romana.

Basilica_di_Santa_Maria_degli_Angeli_e_dei_Martiri_28

3. Die 1561 von Michelangelo entworfene Kirche Santa Maria degli Angeli e dei Martiri. Das Frigidarium (=Kaltbaderaum) der Diokletiansthermen (s. Nr. 3 auf dem Grundrissplan Abb.1 ) bildet das 90 m lange, 27 m breite und 28 m hohe heutige Kirchenschiff. Original den römisch antiken Thermen zugehörig sind die Kreuzgewölbe und Granitsäulen.

Die von 298 bis 306 erbauten Diokletiansthermen mit ihrer mehr als 135.000 Quadratmeter einnehmenden Grundfläche stehen nicht nur für den gewaltigsten Thermenbau der Spätantike, deren Beginn gemeinhin mit dem Regierungsantritt Diokletians 284 gleichgesetzt wird, sondern sie erinnern auch daran, dass zu keinem Zeitpunkt in der römischen Geschichte jemals die großzügigere Realisierung einer derartigen Anlage vorgenommen worden ist. Mehr als 3000 Besuchern gleichzeitig Platz bietend, werden die Diokletiansthermen typologisch dem großen Kaisertyp zugerechnet. Mit der repräsentativen Mittelachse entspricht der Bau dem in der damaligen Architektur allgegenwärtigen Streben nach Axialität wie nach Symmetrie und markiert den fortschrittlichsten Endpunkt einer Entwicklung die Jahrhunderte zuvor im griechischen Kulturraum mit dem einfachen Reihenbad, bei dem die Besucher beim Verlassen der Anlage dieselben Räume alle wieder durchwandern mussten, begonnen hat.

Dabei waren derartige Bauvorhaben nicht allein auf die am Tiber gelegene Herzkammer des Imperium Romanum beschränkt. Auch in den Provinzen wusste man selbstverständlich die Vorzüge dieser gleichermaßen dem geselligen Badevergnügen, der Körperpflege und Hygiene sowie Kommunikation, Unterhaltung und Sport dienenden Örtlichkeiten zu schätzen. Der technische Schlüssel dazu ein angenehmes warmes Raumklima zu erzeugen, lag in der Kombination von beheizten Wänden und Fußböden. Waren es bei den Wänden die hinter dem Verputz liegenden Hohlziegel (tubuli), die für den Transport von Heißluft aus den Kellergeschossen, wo sich die erforderlichen Bedienungsgänge und Feuerungsanlagen (praefurnia) befanden, sorgten, so schufen unter dem jeweiligen Fußboden vor allem der Caldaria (Warmbaderaüme) und Laconica (Heißluftbäder) liegende Pfeilerstellungen, die sogenannten Hypokausten, Hohlräume, von denen aus die heiße Luft gleichmäßig nach oben abstrahlen konnte.

Ref._Blas_Taracena_y_Luis_Vázquez_de_Parga,_La_villa_romana_del_Ramalete-Perspectivas_del_hipocausto_(izquierda)_y_del_baño_(derecha)

4. Modell einer Hypokaustenheizung aus dem 4. Jahrhundert von der iberischen Halbinsel.

Augusta Treverorum, unser heutiges malerisch an der Mosel gelegene Trier, hatte seine große Zeit in der Antike vom späten dritten Jahrhundert bis zum ganz frühen fünften Jahrhundert. Hier in der bedeutendsten und bevölkerungsreichsten Römerstadt nördlich der Alpen war die weite Teile Nordafrikas und Westeuropas umfassende Verwaltungszentrale der Diocesis Galliarum. Einer der vier Kaiser, Constantius I., im von Diokletian begründeten System der Tetrarchie erwählte Trier 293 zu seiner Residenz. Sein Sohn Constantin tat es ihm danach zunächst gleich.

In diesem Kontext ist der gegen Ende des dritten Jahrhunderts erfolgende Baubeginn der Kaiserthermen – nach den in der hohen Kaiserzeit entstandenen Viehmarkt- und Barbarathermen die dritte Anlage dieser Art in Trier – als südliche Begrenzung ganz am Rande des Palastbezirks zu verstehen. Ihren Anblick hat der Architekt und Baumeister Karl Friedrich Schinkel 1826 brieflich mit den Worten, „Dies sind ebenso große Anlagen wie die zu Rom gewesen. Es stehen enorme Mauermassen, die aber eine sonderbar verwickelte Architektur (fast byzantinisch) gehabt haben. Von der Heizungsanlage ist noch viel übrig.“, kommentiert.

Trier_Kaiserthermen_BW_4

5. Die Kalksteinquader und Ziegelmauerwerk aufweisende Zentralapsis des als Dreikonchenanlage ausgeführten Caldarium weist noch immer 19 m Höhe auf. Eine Kuppel als oberer Abschluss ist durch die Verwendung von opus caementicium, betonhartes Gussmauerwerk, ermöglicht worden. Entgegen den Vorgaben des Architekten Vitruv weisen die Fenster nicht nach Süden oder Südwesten, um ein Optimum an Sonnenlicht und -wärme einzufangen, sondern nach Südosten.

Trier_Imperial_Baths_-_Kaiserthermen_(51353075148)

6. Blick von oben in das Kellergeschoss der Trierer Kaiserthermen, wo sich die Bedienungsgänge der Anlage befinden.

MINOLTA DIGITAL CAMERA

7. Modellhafter Rekonstruktionsversuch der Kaiserthermen. Ganz vorne erblicken wir die Zentralapsis des Caldarium.

In ihren Dimensionen mit 250 Metern Länge und 145 Metern Breite erreichen die Kaiserthermen zwar nicht die Ausmaße der Diokletiansthermen, entsprechen ansonsten aber wiederum dem großen Kaisertyp unter strenger Berücksichtigung der Prinzipien von Axialität und Symmetrie. Warum sie am Ende des Tages nicht fertiggebaut wurden, sondern unvollendet blieben, ist höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Kaiser Constantin nach bereits zehnjähriger Abwesenheit von Augusta Treverorum ab 326 damit begonnen hat Byzantion (ab 330 Constantinopel, heute Istanbul) zur Residenz auszubauen. Das neue östliche Rom am Bosporus (s. Abb. 8). Dazu gehörte unter anderem ein Circus für 60.000 bis 100.000 Zuschauer, die Angaben schwanken in der Forschung, wo allseits beliebte Pferde- und Wagenrennen stattgefunden haben. Unter den wachsamen Augen der heute in Venedig im Museum von San Marco sorgsam gehüteten Rosse von San Marco. Plündernde Kreuzfahrer unter dem Doganat Enrico Dandolos verbrachten sie 1204 an ihren neuen Bestimmungsort. Doch zurück nach Constantinopel: Weitere für eine römische Stadt unverzichtbare bauliche Elemente wie Forum, Kapitol, eine Hauptverkehrsachse nebst der Vorverlegung der Befestigungen um 3 Kilometer haben demnach zu viel an Aufmerksamkeit, Energie und finanziellen Ressourcen gebunden. Genug jedenfalls, um ein Ende des über Augusta Treverorum verfügten Baustopp nicht zuzulassen.

Constantinople_map_German

8. Karte des spätantiken und mittelalterlichen Constantinopel.

In den 370er bis 390er Jahren sind unter den Herrschern Gratian und Valentinian II. die Kaiserthermen, die bis auf die Innenausstattung und Versorgungsinfrastruktur immerhin weitgehend fertiggestellt waren, zur Reiterkaserne, also für militärische Zwecke, umgebaut worden.

b.) Basiliken

Eine weitere typisch römische Bauform ist die Basilika. Als ein ganz charakteristisches Merkmal ist ihre Gliederung in drei, manchmal auch fünf Schiffe, wie sie z. B. bei der 335 geweihten Bethlehemer Geburtskirche festgestellt werden können, hervorzuheben. Ursprünglich eine Halle, die für Märkte oder Gerichtssitzungen genutzt wurde, hat die Basilika in der Spätantike einen bemerkenswerten Funktionswandel hin zu einem bei Kirchenbauten beliebten Gebäudetyp vollzogen. Die Umwandlung eines profanen Zweckbaus in einen christlichen Versammlungsraum wurde nach dem Abklingen der Verfolgungen und der in der Mailänder Vereinbarung 313 sich äußernden zunehmenden staatlichen Akzeptanz bzw. der gegebenen Attraktivität der neuartigen monotheistischen Religion notwendig, da es keine wirklichen Vorläufer im heidnischen oder christlichen Kultbau gegeben hat. Doch erst einmal zurück in die Zeit der mittleren und späten Republik. Schauen wir auf das Forum Romanum im Zentrum der Tibermetropole, so begegnen uns bereits mit der Basilica Aemilia und der Basilica Iulia frühe Beispiele. Aus der hohen Kaiserzeit schließt sich die Basilica Ulpia an.

Plan_Rome_-_Basilica_Nova

9. Die auch als Basilica Nova oder Constantinsbasilika bekannte Maxentiusbasilika am Rande des Forum Romanum ist rot markiert. Die im Text erwähnten Basilica Aemilia, Basilica Iulia und Basilica Ulpia sind ganz in der Nähe zu lokalisieren.

Basilica_of_Constantine_in_the_Roman_Forum

10. Vor das mittlere Schiff ist von Constantin eine Freitreppe als repräsentativer Eingang platziert worden.

Basilica_of_Maxentius_and_Constantine_-_panoramio

11. Gut erkennbar ist die an die Querachse angefügte zweite Apsis für das Tribunal zu Zwecken der Rechtsprechung, während die Apsis an der Längsseite einer Kolossalstatue Constantins des Großen vorbehalten blieb.

In der alternativen Namensgebung der von 307 bis 313 errichteten Maxentiusbasilika – auch bekannt als Basilica Nova oder Constantinsbasilika – spiegeln sich die Wechselfälle der römischen Geschichte wider. Zwar war Maxentius der Initiator des im Mittelschiff kreuz- und in den beiden Seitenschiffen tonnengewölbten großzügig bemessenen Hallenbaus. Die Höhe des kassettierten Mittelschiffs wird immerhin auf 35 m geschätzt. Doch die in der Schlacht an der Milvischen Brücke 312 erlittene Niederlage gegen Constantin machte den Letztgenannten zum Herrscher im Westteil des Imperium Romanum. Constantin sind dann auch einige Veränderungen des baulichen Konzepts zuzuschreiben. Dazu gehören die Platzierung einer Freitreppe mit zusätzlichem Eingang an der südlichen Langseite des Gebäudes, und genau gegenüberliegend der Anbau einer zweiten Apsis an der Nordseite. Die Apsis an der Westseite ließ er mit einer sitzenden Kolossalstatue seiner selbst schmücken. Einzelne Fragmente davon können im Innenhof der Kapitolinischen Museen (Palazzo dei Conservatori) in Rom bestaunt werden.

Colossus_of_Constantine

12. Kolossalstatue Constantin des Großen.

Eine gänzlich andere Geschichte weiß der Bau der Basilika Sant’Apollinare in Classe zu erzählen. Der heilige Apollinaris aus dem ostmediterranen Antiochia kam gegen Ende des 1. oder Anfang des 2. Jahrhunderts nach Italien, rief die erste christliche Gemeinde in Ravenna ins Leben und wurde ihr erster Bischof. Ihm zu Ehren wurde über seinem Grab in Classe, dem einige Kilometer von Stadtkern Ravennas entfernten Militärhafen, eine Basilika errichtet. 549 geweiht, machte sich der in Geldgeschäften versierte Händler Iulianus argentarius um die Finanzierung des Bauvorhabens verdient. Zwölf Säulen aus gestreiftem griechischen Marmor mit byzantinischen Kapitellen (s. Abb. 15) gliedern das Gebäudeinnere des mehr als 55 m messenden Langhauses. Auf dem Mauerstreifen vor den Pultdächern der Seitenschiffe breitet sich die Bilderzone aus (s. Abb. 14).

Ravenna_Basilica_di_Sant'Apollinare_in_Classe_Esterno_Lato_Est_4

13. Blick von Osten auf die als Polygon gestaltete Apsis von Sant’Apollinare in Classe mit erhöhtem Mittelschiff und den niedrigeren mit Pultdächern versehenen Seitenschiffen. Der freistehende Campanile gehört erst dem 11./12 Jahrhundert an und ist nicht spätantik.

Ravenna,_basilica_di_Sant'Apollinare_in_Classe_(098)

14. Der Obergaden, d. h. die mit Fenstern durchbrochene erhöhte Wandfläche des Mittelschiffs, ermöglicht eine direkte Belichtung desselben und ist ein typisches Element der basilikalen Gebäudeordnung.

Basilica_di_Sant'Apollinare_in_Classe_interno

15. Kein Gewölbe zum Überspannen weiter Dachflächen wie bei manchen Thermen, sondern ein hölzerner Dachstuhl bildet den oberen Abschluss.

Von einer ansprechenden Schönheit eigener Art und erheblicher kunstgeschichtlicher Bedeutung ist indes das Mosaik in der Apsis (s. Abb. 15, 16). Der erste ravennatische Bischof, der in ein Messgewand gekleidete heilige Apollinaris, ist hier mit erhobenen, zum Gebet geöffneten Armen dargestellt. Einen starken Eindruck hinterlassen die großen Augen des Geistlichen in Verbindung mit dem melancholischen Gesichtsausdruck. Inmitten einer herrlich grünen Wiese, geschmückt von Blumen, Sträuchern und Bäumen, belebt von drei Schafen und zwölf die Apostel symbolisierenden Lämmern. Nach oben hin geht das vorherrschende Grün in die himmlischen Sphären verkörperndes leuchtendes Gold über; im Zentrum mit einem Kreuz versehen, das für Christus steht.

Insgesamt ein Zeugnis für den Stellenwert und die besondere Qualität spätrömisch-byzantinischer Mosaikkunst.

Basilica_di_Sant'Apollinare_in_Classe,_dettaglio_del_mosaico

16. Mosaik in der Apsis von San’t Apollinare in Classe.

c.) Zentralbauten

Als Zentralbauten gelten Bauwerke, deren Hauptachsen annähernd gleich lang sind. Darin unterscheiden sie sich von einem Längsbau wie der Basilika (s. o.). Die in Frage kommenden Grundrisse sind deshalb oval, quadratisch, polygonal, kreuz- oder kreisförmig. Funktional ist der große oder kleine Zentralbau vor allem bei der Realisierung von Baptisterien, Mausoleen, Memorien und Kirchen während der Spätantike zur Anwendung gekommen. Allesamt Gebäudetypen in engstem Zusammenhang mit der christlichen Kultausübung.

Das gilt natürlich auch für den in der Nähe Roms gelegenen Zentralbau Santa Costanza. Das in den Jahren 340 bis 345 erbaute Mausoleum für die Tochter Constantins Constantia. Die mit kreisförmigem Grundriss versehene Rotunde wird von einer Kuppel mit dem Durchmesser von 11,5 m bedeckt. Der Innenraum wird durch Arkaden von zwölf Doppelsäulen, eine allen damaligen Gläubigen verständliche Anspielung auf die Zwölfzahl der Apostel, aus grünem und rotem Granit vom als Ringhalle anzusprechenden äußeren Umgang  abgetrennt. Um an einem Rundbau das altrömische Architekturprinzip der Frontalität verwirklicht zu sehen, hat man dem an sich richtungslosen Bau eine querstehende Vorhalle mit seitlichen Apsiden vorgelagert.

Mausoleum_Constantinae

17. Blick ins Innere von Santa Costanza.

EB1911_Rome_-_Plan_of_Church_and_Mausoleum_of_Constanza

18. Grundriss des kreisrunden Zentralbaus in der Nähe von Rom.

Roma_-_Mausoleo_di_Santa_Costanza_-_2023-09-29_15-36-48_001

18. Durch die Vorhalle wird dem römischen Architekturprinzip der Frontalität gebührende Geltung verliehen.

Fazit

Dass die Spätantike in baukünstlerischer Hinsicht keine kulturlose, sich dem allgemeinen Niedergang ergebende Epoche war, legen die im vorliegenden Beitrag angeführten Beispiele eindrucksvoll nahe. Sie könnten mit dem Hinweis auf den in den Jahren 295 bis 305 entstandenen monumentalen Palastkomplex Diokletians in illyrischen Split oder die 310 bis 325 erbaute sizilische Villa del Casale bei Piazza Armerina wie durch zahlreiche weitere überzeugende Belege ergänzt werden.

Was mögen die völkerwandernden Stämme aus dem Norden oder dem Osten Europas empfunden und gedacht haben, als die diese Bauwerke gesehen haben? Mein nächster Beitrag wird sich demnach der Zeit der Völkerwanderung widmen!

Bildnachweis © 1 gemeinfrei; 2 Jean-Pierre Dalbéra, CC BY 2.0, unverändert; 3 Nicholas Gemini, CC BY-SA 4.0, unverändert; 4 Taracena y Vázquez de Parga, Merquizt y más. – diversas, CC BY-SA 4.0, unverändert; 5 Berthold Werner, CC BY-SA 3.0, unverändert; 6 TimeTravelRome – Trier Imperial Baths – Kaiserthermen, CC BY 2.0, unverändert; 7 Rheinisches Landesmuseum Trier, Fotograf: Stefan Kühn, CC BY-SA 3.0, unverändert; 8 Fremantleboy, CC BY 2.5, unverändert; 9 Unbekannter Autor. Quelle: file: Map of downtown Rome during the Roman Empire large.png, CC BY-SA 3.0, unverändert; 10 Evadb gemeinfrei; 11 Toronto_guy, CC BY 3.0, unverändert; 12 Yair Haklai, CC BY-SA 4.0, unverändert; 13 Zairon, CC BY 4.0, unverändert; 14 Gianni Careddu, CC BY 4.0, unverändert; 15 Maurizio Gambi, CC BY-SA 4.0, unverändert; 16 Tommaso Trombetta, CC BY-SA 4.0, unverändert; 17 Oliver-Bonjoch, CC BY-SA 3.0, unverändert; 18 gemeinfrei John Henry Middleton; 19 PValter, CC BY-SA 4.0, unverändert;

Hinterlasse einen Kommentar