Marc Aurel: Römischer Kaiser und Philosoph

„Hüte dich, dass du nicht ein tyrannischer Kaiser wirst! (…) Ringe danach, dass du der Mann bleibest, zu dem dich die Philosophie bilden wollte.“ (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen VI, 30)

Dass es sich bei Marc Aurel nicht um eine konturlose, beliebig austauschbare Gestalt an der Führungsspitze des Imperium Romanum gehandelt hat, sondern um jemanden der stets als Inbegriff des guten Herrschers galt und immer noch gilt, davon kündet nicht zuletzt das wache Interesse das seinem Leben und Wirken entgegengebracht wird. Deutlich sichtbar wird es aktuell an einer rheinland-pfälzischen Landesausstellung, die mit mehr als 300 hochwertigen Exponaten am 15. Juni 2025 startet und bis zum 23. November 2025 andauert . Das Rheinische Landesmuseum Trier öffnet dabei seine Pforten, um Marc Aurels Leben im Rahmen des ihn umgebenden Zeitalters anschaulich zu präsentieren, während das Stadtmuseum Simeonstift Trier unter anderem der diffizilen Frage nachgeht, was gute Herrschaft eigentlich bedeutet, ausmacht.

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1. Marmorporträt Marc Aurels, entstanden um 169 n. Chr. Heute im Frankfurter Liebieghaus befindlich, entspricht es dem sogenannten Typ drei.

Frühe Jahre

Als Marc Aurel am 26. April 121 n. Chr. in Rom geboren wurde, war die Zeit der großen Kaiserdynastien, der julisch-claudischen und der flavischen, bereits Geschichte. Ihre jeweils letzten Repräsentanten hatten sich durch Maßlosigkeit und wenig vorbildliches Verhalten in den Augen der Einwohner Roms wie der Provinzialbevölkerung nachhaltig diskreditiert. Folgerichtig versuchte man die Erinnerung an Nero, der als Verantwortlicher für den Brand Roms 64 n. Chr. verdächtigt wurde, und an Domitian, der sich entgegen der Sitte der Ahnen, dem mos maiorum, als dominus et deus, als Herr und Gott, bereits zu seinen Lebzeiten verehren ließ, zu löschen. Das dafür vorgesehene Instrument war die damnatio memoriae, die Verdammung des Andenkens. In diesem Zusammenhang wurden ganz pragmatisch steinerne Inschriften trotz der ihnen anhaftenden Qualität von Urkunden oder Dokumenten vom Namenszug des so Geschmähten befreit. Statuen Neros oder Domitians im öffentlichen Raum wurden vielfach beschädigt, zerstört bzw. sind erheblich umgearbeitet worden, so dass der ursprüngliche Bedeutungszusammenhang verlorenging. Insgesamt passierte also das Gegenteil dessen, was einem als gut oder vorbildlich angesehenen Herrscher widerfahren ist. Dieser wurde immer in Ehren gehalten, oftmals nach seinem Tod per Senatsbeschluss vergöttlicht durch einen Vorgang, den wir als Konsekration oder Apotheose bezeichnen.

Insofern nimmt es nicht wunder, dass zur Klärung der Frage, wer denn als nächster römischer Kaiser zu bestimmen sei vom dynastischen Prinzip nach dem gewaltsamen Tod Domitians 96 n. Chr. abgewichen wurde. Als eine gangbare Lösung bot sich das althergebrachte familienrechtliche Instrument der Adoption an. Schon Caesar hatte 44 v. Chr. durch testamentarische Verfügung seinen Großneffen Gaius Octavius, den nachmaligen Augustus, zum Haupterben seines Privatvermögens eingesetzt und den damals Achtzehnjährigen adoptiert. Und Augustus war es schließlich der, als die Bürgerkriege beendet waren, das römische Kaisertum in seiner speziellen Ausformung des Prinzipats erschuf. Unbedingt sollte dabei an der Fiktion einer intakten Republik (res publica) festgehalten werden. Deshalb trat Augustus gegenüber den Angehörigen des altehrwürdigen Senats nur als primus inter pares, als Erster unter Gleichen, auf, nie als in gottgleiche Sphären Entrückter.

Mit Nerva, einem Kandidaten des Übergangs ob des fortgeschrittenen Alters, begann also 96 n. Chr. das Zeitalter der sogenannten Adoptivkaiser. Um seine vermeintlich fragile Herrschaft zu festigen, adoptierte Nerva schon bald den fähigen Truppenkommandeur Trajan und erhob ihn zum Caesar. Ein klarer Hinweis an alle Neider und von Missgunst Umgetriebenen darauf, wer als Nachfolger vorgesehen war. Unter Trajan (98 – 117) stand das römische Imperium schließlich im Zenit seiner Macht und geographischen Ausdehnung. Unter Hadrian (117 – 138), dem von Trajan adoptierten Nachfolger, wobei nicht ganz klar ist, ob bei dem Vorgang alles mit rechten Dingen zugegangen ist, veränderten sich die Schwerpunkte der Regierungspraxis: Es ging Hadrian viel weniger um Expansion, sondern um Konsolidierung des Bestehenden. Hadrian ist ergo viel auf Reisen im Imperium unterwegs gewesen, um sich von den Zuständen in den Provinzen ein eigenes Bild zu machen. Ein vorzüglich ausgebautes Straßensystem hat das ermöglicht.

Als Hadrian in seinem letzten Lebensjahr 138 daran ging, eine geeignete Nachfolgelösung für sich selbst zu finden, fiel seine Wahl auf den 51jährigen Titus Aurelius Fulvus Boionius Arrius Antoninus, den späteren Kaiser Antoninus Pius. Da Antoninus Pius über keine lebenden Söhne verfügte, kam es noch im gleichen Jahr zu einer Doppeladoption: der des knapp siebzehnjährigen Marc Aurel und des zehn Jahre jüngeren Lucius Verus, gewissermaßen des Ersatzmannes für den Fall der Fälle. Über Marc Aurels frühe Jahre ist immerhin bekannt, dass er einer überaus wohlhabenden Familie entstammte, welche durch den Besitz mehrerer größerer Ziegeleien in der Nähe Roms zu Reichtum gekommen ist. Folgerichtig bewohnte man zunächst eine großzügige Stadtvilla auf dem Caelius, dem südöstlichsten der stadtrömischen sieben Hügel. Der Historiker Eutrop berichtet über den mit dem frühen Verlust des leiblichen Vaters konfrontierten Heranwachsenden: „Schon in den ersten Jahren zeigte er ein vollkommen ruhiges Wesen, so dass er als Knabe weder aus Freude noch aus Kummer das Gesicht verzog.“ 

Bemerkenswert an seinem Werdegang ist das Fehlen jedweder militärischen Ausbildung. An sich ein Muss für jemanden, von dem zu erwarten war, er würde dereinst Legionen kommandieren. Dennoch hat kein römischer Kaiser vor und nach ihm mehr Zeit in Feldlagern, wo ja die „Selbstbetrachtungen“ erst entstanden sind, verbracht als Marc Aurel. Hier von einer bitteren Ironie der Geschichte zu sprechen, wäre wohl nicht verfehlt. Sport hingegen stand schon auf dem Programm. Faustkampf, Ringen und Laufen haben dazu gehört.

Doch der Reihe nach! Über die Erzieher und Lehrer, allesamt handverlesen und im Privatunterricht tätig, sind wir etwa durch die Historia Augusta gut informiert. Lesen, Schreiben, Rechnen standen für den Sieben- bis Elfjährigen zunächst auf dem Programm. Musik, Geometrie, Malerei, römisches Recht, Latein und griechische Grammatik schlossen sich an. Ein gewisser Alexandros aus Kotyaeion in Kleinasien hat ihm nicht nur ein sauberes Sprechen beigebracht, sondern ihm ebenso vermittelt, nicht die Sprachfehler anderer zu kritisieren. Womit wir bei der Rhetorik und Philosophie angekommen sind. Rhetoriklehrer waren auch Fronto und der schwerreiche Herodes Atticus, während die Stoiker Diognet und Quintus Junius Rusticus ihn mit der Philosophie der Stoa, insbesondere mit den Schriften Epiktets, bekannt gemacht haben. Am eigenen Charakter zu arbeiten, stets schlicht und bescheiden aufzutreten sind nur einige dabei gewonnene Einsichten. Sie sollten Marc Aurel das ganze Leben lang begleiten!

Kaiser

Von Trajans expansivem Geist wie von Hadrians konsolidierenden Bestrebungen ist weiter oben schon die Rede gewesen. Unter Antoninus Pius (138 -161) gab es zwar kleinere Konflikte in Mauretanien, Ägypten und Dakien, insgesamt verlief seine Regierungszeit jedoch eher ruhig. Bemerkenswert bleibt in territorialer Hinsicht die in Britannien nach Norden erfolgende Vorverlegung des Hadrianswalls um 160 Kilometer in Form des Antoninuswalls. Auch in der Provinz Obergermanien wurde noch einmal der Limes um bis zu 30 Kilometer nach Norden bzw. Osten verschoben. Der britische Althistoriker Anthony Birley hat zu Antoninus Pius einmal kritisch bemerkt, er habe militärischen Fragen zu wenig Interesse geschenkt. Jedenfalls hat er als Herrscher Rom und seine nähere Umgebung nie verlassen, was damit zu korrespondieren scheint. Die zukünftigen Probleme konnten sich an der Nord- und Ostgrenze, an der Donau und im Orient, weitgehend im Verborgenen auftürmen. Marc Aurel, der neue Kaiser ab 161, sah sich sogleich ungeahnten Herausforderungen gegenüber.

Im Ostteil des Imperiums waren es wieder einmal die seit langem als chronische Unruhestifter wirkenden Parther, durch die die Römer sich herausgefordert sahen. Seit der späten Republik stand häufiger die Frage auf der Tagesordnung, inwieweit der Euphrat als Grenzfluss zwischen den beiderseitigen Interessensphären akzeptiert wurde oder eben nicht. Der mit Caesar und Pompeius im ersten Triumvirat verbündete Marcus Licinius Crassus hatte einst 53 v. Chr. bei Carrhae, dem heutigen Harran im nördlichen Teil des zur Türkei gehörenden Mesopotamien, eine vernichtende Niederlage erlitten, bei der er nicht nur sein Leben verlor, sondern auch der Feldzeichen, der Legionsadler, verlustig ging. Eine schwere Schmach mit jahrzehntelangen Auswirkungen in den Augen der Römer. Die Rückgabe der Feldzeichen ist dann als Reliefschmuck auf der Panzerstatue von Primaporta dargestellt worden.

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4. Brustpanzer des Augustus von Primaporta mit der Rückgabe der von den Parthern erbeuteten Feldzeichen.

Nun also war der als Mitkaiser mit geringeren Machtbefugnissen, dafür mit einer besseren Gesundheit und einer kräftigeren Konstitution als Marc Aurel ausgestattete Lucius Verus an der Reihe, eine Serie von Feldzügen zu leiten und zu beaufsichtigen. In deren Verlauf ist es zur Zerstörung von Seleukia und Ktesiphon am Tigris unweit des heutigen Bagdad gekommen. 165 war die Strafexpedition beendet, eine Okkupation von Mesopotamien war nicht beabsichtigt. Gemeinsam zelebrierten anschließend beide Kaiser in Rom im Oktober 166 den Triumph und nannten sich mit schmückendem Ehrentitel PARTHICUS MAXIMUS. Allerdings wurde von den zurückkehrenden Legionären neben allerlei Beutegut ebenso eine schwere Epidemie mit in den Westen importiert. Als Antoninische Pest bekannt geworden, vermutlich die Beulenpest, sorgte sie für die kommenden zwanzig Jahre für zahllose Todesfälle.  

Germanenkriege

Bevor es um die jahrelangen Auseinandersetzungen mit den germanischen Stämmen der Markomannen und Quaden, deren Siedlungsgebiet sich hauptsächlich nördlich der Donau im heutigen Österreich und Ungarn befand, sowie den zu den Sarmaten zählenden Jazygen geht, ein paar Bemerkungen zu einem Gebiet, auf dem sich Marc Aurel mit dem ihm eigenen Sinn für rechtes Tun, für Gerechtigkeit besonders hervorgetan hat: dem der Rechtspflege und Rechtsschöpfung.

Häufigstes Thema war dabei die Institution der Sklaverei, wobei es Marc Aurel keineswegs um deren Abschaffung gegangen ist, sondern um eine erträglichere Gestaltung der bestehenden Verhältnisse. So ist beispielsweise der Fall eines als Vermögensverwalter für seinen soeben verstorbenen Herrn tätigen Sklaven überliefert, der über seine Tätigkeit noch keine Rechenschaft abgelegt hatte, aber per Testament freigelassen worden ist. Die Erben wollten nun die testamentarische Freilassung verhindern. Marc Aurels Urteil in dem Fall lautete dahingehend, es sei die versprochene Freiheit höher zu bewerten als das finanzielle Interesse der Erben. Weitere, auf einen fairen Ausgleich setzende  Beispiele ließen sich anführen.

Zurück zu den Germanen! Die römische Germanienpolitik hatte sich schon zu Zeiten von Augustus von der Schaffung einer vom Rhein bis zur Elbe reichenden Provinz Großgermanien (Germania magna) verabschiedet. Die Niederlage des Publius Quinctilius Varus 9 n . Chr. mitsamt drei Legionen im Teutoburger Wald war für das Umdenken auschlaggebend. Seitdem fungierte der Rhein als nasser Limes, um die westlich davon liegende Provinz Niedergermanien zu schützen. In Obergermanien und Rätien übernahm die sich über mehr als 500 Kilometer erstreckende bauliche Anlage des Obergermanisch-Rätischen Limes diese Funktion. So war das Teilen des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg entsprechende Dekumatland durch eine Befestigungsanlage und dahinter angelegte Kastelle vor feindlichen Übergriffen kleineren und mittleren Maßstabs weitgehend geschützt. 

Doch was würde geschehen, wenn ganze Völkerschaften jenseits davon in Bewegung gerieten, aus wirtschaftlicher Not oder aufgrund nachrückender Stämme selbst auf Wanderschaft gingen? Östlich davon in Pannonien erlebten die Römer 167/168 einen ersten Vorgeschmack davon, als die Langobarden einfielen. 169 verschlimmerte sich die Lage, als Markomannen und Quaden die Alpen überwanden, bis nach Norditalien vorrückten und die Stadt Opitergium in der heutigen Region Venetien zerstörten. Dakien wurde 170 überrannt, die ganze nördliche Front begann zu bröckeln. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Marc Aurel schon längst an der Donau, um die Lage zu sondieren, Mut zuzusprechen und Truppeninspektionen durchzuführen. 

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5. Die Ehrensäule Marc Aurels auf der Piazza Colonna in Rom zeigt auf dem 200m langen Reliefband 114 Szenen aus den Markomannenkriegen.

 

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6. Das Reiterstandbild Marc Aurels wurde lange irrtümlich mit dem christlichen Kaiser Konstantin identifiziert.

Die Römer sollten noch einmal davonkommen. Ein ganzes Maßnahmenbündel war dazu vonnöten. Um dem vorhandenen Geldmangel abzuhelfen, ließ der Princeps die Kostbarkeiten des Kaiserhauses öffentlich auf dem Trajansforum versteigern. Gemmen aus der Schatzkammer Hadrians, Gefäße aus Kristall und Achat, golddurchwirkte Brokatgewänder, goldene Pokale: All das wurde feilgeboten, um die eigenen Truppen bezahlen zu können. Zusätzlich wurde die Rekrutierungsbasis verbreitert. Sklaven, Gladiatoren und Räuber waren auf einmal im kämpfenden Heer zu finden. Germanische Söldner in römischen Diensten standen gegen angreifende Germanen an verschiedenen Schauplätzen des Geschehens.

Eine neue Wirklichkeit schien sich des seit Jahrhunderten gewohnten römischen Alltags zu bemächtigen. Marc Aurel gebührt das Verdienst, an entscheidender Stelle das Ruder des Staatsschiffs erfolgreich herumgerissen zu haben. 180 ist er in Vindobona, Wien, verstorben. Sein leiblicher Sohn Commodus war der Nachfolger, was kaum unglücklicher hätte sein können!

Bildnachweis© 1, 2 gemeinfrei; 3 Jastrow (2006); 4 Rabax63, CC BY-SA 4.0, unverändert; 5 Rabax63, CC BY-SA 4.0, unverändert; 6 3dnatureguy,CC BY-SA 3.0, unverändert;

PS: Denjenigen Leser*innen, die mehr über den Philosophenkaiser erfahren möchten, darf ich die umfangreiche, erstmals 2018 im Verlag C. H. Beck erschienene Biographie des Althistorikers Alexander Demandt ans Herz legen.

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