Kunstraub In Napoleonischer Zeit

Einleitung

Die verschiedenen Stationen und Details aus dem Leben Napoléons sind hinlänglich bekannt und häufig genug beschrieben worden. Zwischen den frühen Jahren auf Korsika und dem finalen Exil auf St. Helena im Südatlantik spannt sich ein überreicher Bogen auf. Wichtiges von Ereignissen geringerer Relevanz unterscheiden zu wollen, ist kein ganz einfaches Unterfangen, da nahezu jeder Moment wie von schicksalhafter Bedeutung aufgeladen wirkt.

Der Höhepunkt im Urteil vieler Zeitgenossen und Nachgeborener ist dem allgemeinen Eindruck nach die am 2. Dezember 1804 sich in Notre-Dame de Paris abspielende feierliche Zeremonie gewesen, innerhalb derer der herausragendste, im Abendland zu vergebende Herrschertitel an den homo novus verliehen worden ist. Die Krönung Napoléons I. zum Kaiser der Franzosen im Rahmen einer effektvollen Selbstkrönung von eigener Hand hat zum Abschluss gebracht, was eine Verfassungsänderung und Volksabstimmung bereits vorbereitet hatten. In der Nachfolge der römischen Cäsaren und Karls des Großen wollte Napoléon damit die eigene Legitimität stärken und gleichzeitig das Fundament für die Installation des dynastischen Prinzips legen. Im antiken Rom wie im neuzeitlichen Paris ging es gleichermaßen darum, jeden aufkeimenden Gedanken an die in Misskredit geratene Königszeit zu zerstreuen. In beiden Fällen war zwar die republikanische Staatsform passé, doch weder war Augustus ein Tarquinius Superbus noch Napoléon I. ein Ludwig XVI.

Ohne die vorherigen Feldzüge unter napoleonischem Oberbefehl, die durchweg gewonnen und somit die Grundlage für den Ruhm des Siegers gebildet haben, bliebe die Krönungszeremonie, die Jacques-Louis David so farbenprächtig in einer großformatigen Arbeit in Öl auf Leinwand festgehalten hat, kaum verständlich und hätte so nicht stattgefunden.

Kunstraub in- und außerhalb Frankreichs

Weit weniger bekannt und im allgemeinen Bewusstsein verankert, ist die Tatsache, dass den französischen Armeen unterlegene Völker und Nationen, Länder und Städte kleineren und größeren Zuschnitts ihren Tribut auch in einer Währung zu entrichten hatten, die uns keinesfalls selbstverständlich erscheint: in Werken der Kunst. Dabei ging es nicht um Zufallsfunde am Wegesrand, sondern um die Realisierung eines systematischen Vorgehens, das in dieser Konsequenz, nämlich als Voraussetzung und Bestandteil von Waffenstillstandsvereinbarungen und Friedensverträgen, in der Geschichte bis dahin ohne Vorbild war. Die im Schlepptau der vorrückenden Armeen befindlichen Kommissionen und dazugehörigen Kunstkommissare, ausgestattet mit vorbereiteten Listen und einem gehörigen Vorwissen, was es denn Schönes und Bedeutsames im Bereich der Kunst zu requirieren gäbe, betraten Neuland.

Neuland war ebenfalls, dass man über einen überdachten Ort verfügte, an den man die geraubten Kunstschätze zu verbringen gedachte, um sie als Siegesdenkmäler, als Trophäen, einem begeisterten Publikum zur Schau zu stellen: den Louvre in Paris.

Als „Muséum central des arts“ eröffnet am 10. August 1793 während der Hochphase revolutionärer Schreckensherrschaft, sorgte eine veränderte Funktionsbestimmung von Teilen des Louvre als landesweit erstem öffentlichen Kunstmuseum für neue Bedeutung des darbenden und seit dem Mittelalter existierenden Baukomplexes. Die alte Festung, die nachmalige königliche Residenz war nun ein Ort für die Allgemeinheit, ein alle Schichten der Bevölkerung repräsentierendes Publikum geworden, dem – zunächst an zwei Tagen der gemäß revolutionärem Kalender auf zehn Tage erweiterten Woche – Einlass gewährt wurde. An Exponaten listet ein erster Katalog 537 Gemälde und 124 Skulpturen, Vasen und andere Kunstgegenstände auf. Drei Viertel der ausgestellten Bilder stammte aus den königlichen Sammlungen und ein Viertel aus enteignetem Adels- oder Kirchenbesitz und hatte den revolutionären Bildersturm damit überstanden.

An der Herkunft, der Provenienz der Kunst, die danach hinzugekommen ist, kann man noch heute ziemlich genau ablesen, wo sich die französischen Armeen gerade aufhielten. So ist es während des sogenannten Ersten Koalitionskrieges bereits zur Besetzung der dem heutigen Belgien weitgehend entsprechenden österreichischen Niederlande und linksrheinischen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gekommen. Im Zuge dessen sind unter anderem Teile des Genter Altars von Jan van Eyck, Bilder von van Dyck, Rembrandt und Rubens beschlagnahmt und nach Paris verbracht worden. Die Kirche Sankt Peter in Köln verlor im Oktober 1794 auf diesem Wege unter anderem die Kreuzigung des Apostels Petrus von Peter Paul Rubens, Aachen eine größere Zahl von spätantiken Säulen aus der Pfalzkapelle des Doms. Der Leutnant und Kunstkommissar Barbier wusste das Vorgehen wie folgt zu rechtfertigen: „Die Armee des Nordens drang mit Feuer und Schwert in die Mitte der Tyrannen und ihrer Anhänger vor, aber sie schützte sorgfältig die zahlreichen Meisterwerke der Kunst, welche die Despoten in ihrer überstürzten Flucht zurückließen. (…) Nicht länger befinden sich diese unsterblichen Werke in fremdem Land; heute sind sie im Vaterland der Künste und des Genies, der Freiheit und Gleichheit, in der französischen Republik angekommen. Ich habe diese kostbaren Bilder zusammengebracht und begleitet, denen weitere folgen werden.“

Die Rosse von San Marco

Die Seerepublik Venedig hatte ihre große Zeit im 18. Jahrhundert schon länger hinter sich gelassen, die transatlantischen und die Seehandelswege um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien und Ostasien hatten den mediterranen Fernhandelsrouten den Rang abgelaufen, als der Große Rat der Stadt am 12. Mai 1797 die Auflösung der Republik erklärt hat. Zwei Tage später ist die Serenissima von französischen Truppen besetzt worden. Der an die Venezianer gerichtete Vorwurf, sie hätten zuvor eine entscheidende Mitverantwortung an den als „Veronesische Ostern“ bekannten Gräueltaten gegen verwundete Angehörige des französischen Militärs gehabt, ließen ein hartes Strafgericht befürchten.

Neben mehreren Millionen Golddukaten, Hunderten alter Handschriften und kostbaren Gemälden waren als Kontribution die Symbole der Stadt schlechthin zu entrichten: der Löwe vom Markusplatz und die Rosse von San Marco.

Die vier aus vergoldeter Bronze erschaffenen Rosse von San Marco haben die Fassade des Doms seit alter Zeit geschmückt. Im Rahmen des Vierten Kreuzzuges sind sie 1204 unter dem Doganat Enrico Dandolos in einem gegen die eigenen Glaubensbrüder östlicher Prägung gerichteten Akt aus Byzanz geraubt worden. Sie sollen einst von Kaiser Konstantin im Hippodrom seiner neuen Hauptstadt als Bestandteil einer nicht mehr erhaltenen Quadriga, eines Viergespanns, aufgestellt worden sein. Ihr hohes Alter ist somit verbürgt, obschon sich die archäologische Forschung mit einer exakten Altersbestimmung schwer tut. Die Datierungsvorschläge reichen in ihrer Spannweite vom vierten vorchristlichen bis zum ersten nachchristlichen Jahrhundert. Das hat weniger mit Ungenauigkeit der angewandten Methoden als vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass die Rosse von San Marco einzigartig sind. Mit Ausnahme des Reiterstandbildes von Marc Aurel in Rom ist m. E. kein Vergleichsmaterial an lebensgroßen Bronzepferden aus der Antike bekannt, deren Existenz eine stilistische Analyse mit größerer Präzision ermöglichen würde. Es gibt überhaupt kaum lebens- oder gar überlebensgroße Bronzestatuen antiken Ursprungs, die die Zeiten unbeschadet überstanden haben. Die allermeisten von ihnen sind irgendwann einmal eingeschmolzen worden, um Gegenstände wie Kirchenglocken oder Kanonen aus der wertvollen Legierung herzustellen.

Wie auch immer: Auf einem von lebenden Pferden gezogenen Wagen hielten die Rosse von San Marco am 28. Juli 1798 ihren Einzug in Paris im Rahmen einer Inszenierung, die an einen römischen Triumphzug erinnert. Zeitgenössische Kupferstiche wie sie in der Collection complète de la Révolution française abgebildet sind, geben das Schauspiel wieder.

Paris als neues Rom

Wer sich heute auf der einem Decumanus maximus ähnelnden historischen Achse inmitten von Paris bewegt, bekommt unmittelbar eine Vorstellung davon, inwieweit die römische Antike leitende Vorbildfunktion für das ausgehende 18. und beginnende 19. Jahrhundert in Frankreich hatte. Sichtbarer architektonischer Ausdruck wird ihr durch den 50 Meter hohen Arc de Triomphe de l′ Étoile, dessen Grundsteinlegung 1806 erfolgte, und der von seiner Anlage her eine monumentalisierte Variante des stadtrömischen Titusbogen aus der Zeit der flavischen Kaiserdynastie darstellt, verliehen. Das gilt ebenso für den kleineren Arc de Triomphe du Carrousel nahe beim Louvre, der mehr an den Ehrenbogen des Septimius Severus aus dem frühen dritten Jahrhundert erinnert.

An dieser Stelle kommen nun wieder die Rosse von San Marco ins Spiel. Sie selbst mussten nach den Bestimmungen des Wiener Kongresses 1815 an Venedig restituiert werden, verblieben demnach insgesamt keine zwanzig Jahre in Frankreich. Die vier Pferde als Bestandteil der Quadriga auf dem Arc de Triomphe du Carrousel, die man heute sieht, sind also lediglich nach ihrem venezianischen Vorbild entstandene Kopien.

Italien hatte versierten Kunsträubern natürlich weit mehr zu bieten als die Schätze Venedigs. In einem Verzeichnis, das den Kirchenstaat zur Herausgabe von 100 Kunstwerken verpflichtete, ist zu erfahren, dass 83 von ihnen griechische und römische Skulpturen, viele davon aus Marmor, waren. Darunter Meisterwerke wie der Apoll von Belvedere oder die Laokoon-Gruppe. Die Uffizien in Florenz kamen nicht umhin, die Venus Medici preisgeben zu müssen. Der Generaldirektor des seinerzeitigen Musée Napoléon und heutigen Louvre, Dominique-Vivant Baron Denon, verfügte damit über die weltweit wichtigste Antikensammlung.

In deutschen Landen

Hier sind es vor allem das Kaiserreich Österreich, das Königreich Preußen, das Kurfürstentum Hessen-Kassel und die Herzogtümer Braunschweig und Sachsen-Weimar-Eisenach, deren Kunstschätze aufgrund fehlender profranzösischer politischer Haltung am meisten bedroht waren. Jena und Auerstedt führten im Ergebnis zum Abtransport riesiger Bestände an die Ufer der Seine.

In einer Ausstellung im Musée Napoleon konnten die schönsten Exponate anschließend bis zum März 1808 bestaunt werden. Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat dazu 2013 bemerkt: „Wenn man sich die Frage des Kunstraubes als Frage des Kulturtransfers im tiefen Sinne stellt, dann gab es schon eine positive Folge dieses erzwungenen Transfers von Kunstwerken. Das gilt ganz besonders für die Werke der altdeutschen Malerei. Als sie hier weggenommen wurden von den französischen Kommissaren, hatten sie keinen musealen Wert, die waren nicht ausgestellt. Dann kommen sie nach Paris. Sieben Jahre lang bleiben sie in Paris und dann berichten die Deutschen die ganze Zeit, oh, das interessiert die Pariser. Die finden Cranach und Dürer sehr spannend. Und als diese Werke dann wieder frei sind oder wo der Augenblick ist, dass man sie wieder zurückbekommen kann, dann sind das die Ikonen der Nation. Und das ist passiert, weil sie weg waren. Also im Verlust erkennt man die eigenen Werte.“ (s. deutschlandfunk.de/kunst-napoleons-raubzug-durch-europa.691.de.html?dram:article_id=273138)

Ein sicher interessanter Aspekt, der durch den Hinweis ergänzt werden kann, dass die Haager Ordnung zum Schutz des Eigentums des Feindes erst am Ende des 19. Jahrhunderts in einer ersten Fassung entstanden, das diesbezügliche Unrechtsbewusstsein 80 bis 100 Jahre vorher nicht allzu stark ausgeprägt gewesen sein dürfte.

Gleichwohl blieb nach Waterloo das Dilemma bestehen, auf das der Denon-Biograph Reinhard Kaiser hingewiesen hat: „Dennoch blieben damals unzählige Kunstwerke in Frankreich zurück. Die Schwierigkeiten, mit denen es die Abgesandten der verschiedenen Regierungen bei ihren Rückforderungen zu tun bekamen, waren beträchtlich. Schon die Identifikation der Bilder war in einer Zeit ohne Fotografie in vielen Fällen ein vertracktes Problem – weniger bei den allgemein bekannten Meisterwerken, aber doch bei einer großen Zahl ausgezeichneter Bilder mit oft identischen oder leicht verwechselbaren und wenig aussagekräftigen Titeln, die es wiederzufinden und den rechtmäßigen Besitzern zuzuordnen galt. Eine zusätzliche Schwierigkeit ergab sich daraus, dass die Bilder im Musée Napoleon nicht selten unter anderen Künstlernamen ausgestellt waren als an ihrem Herkunftsort, nicht um sie zu tarnen oder Spuren zu verwischen, sondern weil die Spezialisten des Louvre sie – oft zu Recht – neu zugeschrieben hatten.“ (s. Reinhard Kaiser, Der glückliche Kunsträuber. Das Leben des Vivant Denon, 2016, S. 355)

Zum Schluss

Der Louvre ist einzigartig, das Museum mit den meisten Besucherinnen und Besuchern weltweit und immer eine Reise wert. Einige der in meinem Beitrag angeschnittene Fragen müssen ebenso an andere europäische Museen, die ihre Bestände vorzugsweise im 18. oder 19.  Jahrhundert auch ohne napoleonische Protektion aufgebaut haben, gerichtet werden. Die aktuell wieder einmal an Fahrt aufnehmende Diskussion zwischen British Museum und Repräsentanten Griechenlands bezüglich der Rückgabe der Elgin Marbles mag hier als Beleg genügen.

Der nächste Beitrag wird sich mit dem Thema Kunstraub in der NS-Zeit beschäftigen!

Bildnachweis©derblogger

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