Geschichtliche Epochen und ihre Periodisierung

Vorbemerkungen

Nicht nur einmal waren in diesem Blog geschichtliche Epochen selbst Gegenstand der Betrachtung. Im November 2017 ging es in dem Beitrag „Zum 200sten Geburtstag von Theodor Mommsen“ unter anderem um die Alte Geschichte in Abgrenzung zu benachbarten Disziplinen wie etwa der Ägyptologie. Ereignisse von besonderer Bedeutung und die mit ihnen verbundenen Datierungen sollten dann im Juli und Oktober 2018 in „Neuzeit“ und „Buchbesprechung: „Das verlorene Paradies. Europa von 1517 – 1648″ von Mark Greengrass“ eine wichtige Rolle spielen.

Um das Mittelalter von der Neuzeit sinnvoll zu trennen, sind von mir die traditionell ins Feld geführten Zusammenhänge wiedergegeben worden. Es handelt sich dabei um die Eroberung von Byzanz durch die Osmanen 1453, die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus 1492 und den Thesenanschlag Luthers in Wittenberg 1517. Keineswegs soll damit irgendeine Art von Hierarchie zum Ausdruck gebracht werden, sehr wohl aber die Überzeugung, dass um das Jahr 1500 herum eine Zäsur, ein Epocheneinschnitt stattgefunden hat.

Wanken die Epochengrenzen?

Wer in diesem Kontext Genauigkeit anstrebt, kommt nicht umhin, einen Hinweis auf widersprechende Einschätzungen zu geben. Die bereits genannten Ereignisse von außerordentlicher Bedeutsamkeit, ihnen könnte zusätzlich die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern um die Mitte des 15. Jahrhunderts beigefügt werden, hätten in ihrer Wirkung auf die Zeitgenossen nicht ausgereicht, als dass sie einen Epochenbruch rechtfertigen würden. Kein geringerer als der mittlerweile verstorbene Jacques Le Goff, einer der führenden Mediävisten, hat in diesem Sinne für ein langes Mittelalter, das ihm zufolge bis ins 18. Jahrhundert angedauert hätte, plädiert. Seine Argumentation kann bequem in deutscher Sprache in dem im Oktober 2016 im Verlag von Zabern erschienenen Essay Geschichte ohne Epochen überprüft und nachvollzogen werden. Gewissermaßen noch einen Schritt weiter ging der Arabist und Islamwissenschaftler Thomas Bauer in einem Gastbeitrag für die FAZ vom 23. August 2018. Ihm zufolge ist der Begriff Mittelalter diskreditiert und lässt sich schwerlich – eine Reaktion auf Le Goff – bis ins achtzehnte Jahrhundert ausdehnen. Überhaupt würde die Gliederung der Geschichte in die Trias Antike – Mittelalter – Neuzeit das Nachdenken über Geschichte mehr blockieren als fördern.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/warum-man-sich-vom-begriff-mittelalter-verabschieden-sollte-15750694.html

Schon etwas länger ist es her, als 1937 der belgische Historiker Henri Pirenne in seinem postum veröffentlichten „Mahomet et Charlemagne“ gewichtige Einwände gegen die Festsetzung eines allzu frühen Ende der Antike erhob. Üblicherweise wird es mit dem Untergang des Weströmischen Reiches 476 und der in diesem Jahr erfolgten Absetzung des letzten Kaisers Romulus Augustulus durch Odoaker in Verbindung gesetzt. Dagegen wollte Pirenne eine viel länger obwaltende Kontinuität im Mittelmeerraum erkennen, die erst mit der islamischen Expansion im 7. und 8. Jahrhundert zum Einsturz gebracht wurde. Als Pirenne-These sollte seine Neubewertung das 20. Jahrhundert hindurch Zündstoff für viele Diskussionen bieten. Die Mehrheit der Fachleute lehnt sie heute allerdings ab.

Ist demnach die altvertraute Harmonie des Dreiklangs der Zeiten nachhaltig gestört? Falls es so ist, welche Gründe und Ursachen können dafür namhaft gemacht werden?

Das klassische Dreiperiodenschema

Wogegen sich der Unmut vor allem Thomas Bauers richtet, ist das von Christoph Martin Keller (latinisiert Christophorus Cellarius) begründete Dreiperiodenschema. Der 1638 in Schmalkalden geborene Keller war ab 1693 Professor für Rhetorik und Geschichte an der Friedrichs-Universität in Halle an der Saale. Seiner Urheberschaft sind die 1685 publizierte Historia Antiqua zur Alten Geschichte, an die sich 1698 die Historia Medii Aevi zum Mittelalter und 1702 die Historia Nova zur Neuen Geschichte anschlossen, zu danken. Die drei Einzelwerke wurden überdies 1702 zum Gesamtwerk einer als Historia Tripartita bekannten Historia Universalis zusammengefasst.

Das vor mehr als 300 Jahren etablierte, die menschliche Geschichte gliedernde Ordnungsschema begleitet uns noch heute trotz bisweilen formulierter Kritik. Dabei kann es auf geistige Grundlagen und Vorarbeiten zurückgeführt werden, welche in noch älteren Schichten der Vergangenheit zu verorten sind. So war es der italienische Frühhumanist Francesco Petrarca, als Schöpfer lyrischer Dichtung wie auch als Erstbesteiger des Mont Ventoux in der Provence bekannt geworden, der seine eigene Zeit, das 14. Jahrhundert, von der als Vorbild verherrlichten Antike durch eine mittlere Zeit abgetrennt sah. Damit war das dunkle Mittelalter in der Welt und eine davon abgetrennte moderne Zeit vom Grundsatz her auch. Als Petrarca 1374 starb, hatte unserem heutigen Verständnis nach die Frührenaissance noch nicht begonnen,  sowohl die Erfindung des Buchdrucks als auch die Entdeckung Amerikas – und damit die Neuzeit in unserem Sinn – lagen in weiter Ferne. Gleichwohl teilen wir im 21. Jahrhundert Petrarcas grundsätzliche Überlegungen zu den Epochen.

Global History

Man mag es Unbehagen oder Kritik nennen, die im Ergebnis in manchen Fällen zu einer Neubewertung gelangt sind und zukünftig gelangen werden. Im Kern dürfte ein strukturelles Problem den Ausschlag geben. Traditionelle, sich an Politik-, Diplomatie- oder Verfassungsgeschichte ausrichtende Geschichtsschreibung sieht ihrem Thema gemäß den Nationalstaat im Zentrum. Werden die Zeiträume, mit denen sich Autorinnen/Autoren auseinandersetzen, länger und epochenübergreifend, geraten geographische und kontinentübergreifende Großräume gar in den Blick, liegt es in der Natur der Sache, dass ein auf europäischer Geschichte basierendes Modell wie das Dreiperiodenschema an seine logischen Grenzen stößt.

Als Wegbereiter der global history gilt der US-Amerikaner William Hardy McNeill, der in einem 1981 vor der Royal Historical Society gehaltenen Vortrag ausführte: „Viele Historiker lehnen Weltgeschichte deshalb ab, weil sie ihnen zu vage und zu allgemein ist und weil sie das Gefühl haben, weltgeschichtliche Aussagen seien nicht überprüfbar. Eine solche Ansicht ist unrichtig. Weltgeschichte beruht in genau derselben Weise auf Quellen wie Nationalgeschichte oder Geschichte in jedem anderen Größenmaßstab. Die Verfahren, um eine bestimmte Hypothese zu überprüfen, sind immer dieselben, ob sich diese Hypothese nun auf die ganze Welt bezieht, auf eine einzelne Zivilisation, eine bestimmte Nation oder ein kleines Dorf in den Pyrenäen.“ ( zitiert nach: Fritz Stern, Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Moderne Historiker. Klassische Texte von Voltaire bis zur Gegenwart, München 2011, S. 483)

Wer Grundlegendes zur global history von William Hardy McNeill erfahren möchte, sei auf sein nach wie vor nicht ins Deutsche übersetzte „The Rise of the West: A History of the Human Community“  aus dem Jahr 1963 verwiesen.

Weltweiten Phänomenen wie Klimawandel oder Internet in dem Sinne nicht unähnlich, dass sie nicht ausschließlich in nationalstaatlichen oder europäischen Kategorien ge- und bedacht werden können, zeichnen sich auch für das europäisch basierte Dreiperiodenschema der historischen Epochen und ihrer Grenzen weitere Veränderungen ab.

 

 

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